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Raumfahrt

Operationsbasis im Orbit

Chinas neue Raumstation Tiangong

Parallel zum neuen Wettlauf zum Mond verschiebt sich auch das Gleichgewicht bei der bemannten Raumfahrt im Erdorbit. Denn nach Russland und den USA als führenden Betreibern von Raumstationen hat nun auch China eine eigene Raumstation in der Erdumlaufbahn. Im Prinzip blieb dem Land auch wenig anders übrig, denn auf Betreiben der NASA wurde China im Jahr 2011 ausdrücklich von der Teilnahme an der Internationalen Raumstation ISS ausgeschlossen – man befürchtete Industriespionage.

Tiangong
Die chinesische Raumstation Tiangong im Juli 2022. In der Mitte das Kernmodul Tianhe, lionks davon das Labormodul Wentian. Außen angedockt sind zudem rechts ein Frachter und unten die bemannte Raumkapsel Shenzhou.© Shujianyang/ CC-by-sa 4.0

Tiangong: Modular und so groß wie die „Mir“

Wie die russische Raumstation Mir und die ISS ist die chinesische Station Tiangong modular aufgebaut und wird im Orbit nach und nach ergänzt. Sie kreist im niedrigen Erdorbit zwischen 340 und 450 Kilometer Höhe – etwa in dem Bereich, in dem sich auch die ISS bewegt. Bei ihrer Fertigstellung im Oktober 2022 wird die Station aus einem Kernmodul und zwei Labormodulen bestehen und rund 80 bis 100 Tonnen schwer sein. In Größe und Gewicht entspricht sie damit in etwa der ehemaligen russischen Raumstation Mir, hat aber nur ein Fünftel der Masse der ISS.

Das Kernmodul der Station, Tianhe, wurde am 29. April 2021 von einer Trägerrakete des Typs Langer Marsch 5B erfolgreich in die Umlaufbahn gebracht. Das knapp 17 Meter lange Modul enthält einen Serviceteil mit den Lebenserhaltungssystemen, der Stromversorgung, dem Antrieb und den Systemen für Position und Navigation. Im zweiten Teil liegen Quartiere für drei Astronauten, Computer- und Kontrollsysteme sowie die Kommunikationsanlagen. Außerdem verfügt das Tianhe-Modul über ein Andocksystem und einen Roboterarm.

Die Labormodule

Am 24. Juli 2022 brachte eine weitere Mission das erste von zwei Labormodulen zur Station. Dieses koppelte zunächst an die am Vorderende des Kernmoduls liegende Andockstelle an, so dass beide Module in einer Linie liegen. Durch nachträgliche Umlagerung wird das rund 20 Tonnen schwere Labormodul aber seine endgültige Position quer zum Kernmodul bekommen. Wentian enthält neben Quartieren für drei weitere Astronauten vor allem Platz für wissenschaftliche Experimente, außerdem einen zweiten Roboterarm und Backups für wichtige Kernfunktionen wie Navigation, Antrieb und Lagekontrolle.

Im Wentian-Labormodul liegt auch die künftige Hauptluftschleuse der Station. Durch sie steigen Astronauten aus, wenn sie Außenbordmissionen durchführen müssen. Diese sind beispielsweise nötig, um künftig außen an der Station befestigte Messinstrumente zu warten und zu betreuen. Das Labormodul besitzt dafür spezielle Halterungen, in die auch große Instrumente eingeklinkt werden können. Dazu könnte ab 2023 ein kleines Spiegelteleskop gehören, außerdem ab 2027 ein gut vier Tonnen schweres Gerät zur Messung kosmischer Strahlung, das unter Beteiligung europäischer Wissenschaftler entwickelt wurde.

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Im Oktober 2022 soll dann der Grundaufbau der Raumstation mit dem zweiten Wissenschaftsmodul Mengtian komplettiert werden. Dieses Modul enthält weiteren Raum für Experimente, sowie eine Luftschleuse für Versorgungsgüter und andere Nutzlasten. An ihr können unbemannte Versorgungskapseln vom Typ Tianzhu andocken. Unklar ist, inwieweit der an das russische System angelehnte Andock-Mechanismus auch mit den Systemen der ISS und den Raumkapseln anderer Länder kompatibel ist – wie bei vielen technischen Details hält sich Chinas Raumfahrtbehörde dabei bedeckt.

Ionenantrieb
Test eines Hall-Effekt-Ionenantriebs bei der NASA. Tiangong ist das erste bemannte Raumvehikel mit einem Ionenantrieb.© NASA

Erster Ionenantrieb der bemannten Raumfahrt

Eine große Besonderheit ist der Antrieb der Tiangong-Station: Neben klassischen Triebwerken hat das Kernmodul Tianhe auch einen Ionenantrieb – als erstes bemanntes Raumgefährt überhaupt. Die vier Hall-Effekt-Triebwerke erzeugen ihren Schub durch einen Strom positiv geladener Teilchen, vermutlich Xenon-Ionen, die von einem elektrischen Feld beschleunigt werden. Ein von einem Magnetfeld kontrollierter Ringstrom von Elektronen sorgt für zusätzlichen Schub und für die Neutralisation des Ionenstroms nach dem Austritt aus der Antriebsdüse.

Der Vorteil solcher Ionenantriebe ist ihre geringe Größe und lange Betriebsdauer. Sie können zwar weniger Schub erzeugen als chemische Triebwerke, dafür reicht ihnen als Treibstoff eine geringe Menge Xenongas. An der Raumstation Tiangong sollen die Hall-Triebwerke mindestens 15 Jahre arbeiten und die Bahnhöhe der Station stabil zu halten. Ein Nachteil des Ionenantriebs ist allerdings die stark korrosive Wirkung der beschleunigten Ionen. Damit sie die Triebwerke und die Hülle der Raumstation nicht beschädigen, sind sie von zusätzlich einem abschirmenden Magnetfeld und einer keramischen Schutzhülle umgeben.

Internationale Kooperationen: Auch andere dürfen mitmachen

Zurzeit ist Chinas neue Raumstation Tiangong ist neben der ISS der zweite „Außenposten“ der Menschheit – könnte aber bald sogar der einzige sein. Denn die ISS ist bereits relativ betagt und ihre Finanzierung steht auf der Kippe: Russland hat im Zuge des Ukraine-Krieges und der zunehmenden Konflikte mit westlichen Staaten das Ende seiner Beteiligung ab 2024 angekündigt. Ob die Internationale Raumstation dann weiter betrieben wird und in welcher Form, ist noch ungeklärt.

Tiangong
Aufbau der Raumstation Tiangong im fertigen Zustand.© Saggittarius A/ CC-by-sa 4.0

In Zukunft könnte aber auch Tiangong  – der „Palast des Himmels“ – ein Ort internationaler Zusammenarbeit werden, betont die chinesische Regierung. Einige der zurzeit auf der Raumstation installierten wissenschaftlichen Experimente werden bereits in Kooperation mit anderen Ländern durchgeführt oder wurden komplett von Forschungseinrichtungen in Europa entwickelt. Unter anderem beteiligt sind Norwegen, Belgien, die Schweiz und auch Deutschland. Eine besonders enge Kooperation besteht zudem zwischen China und der italienischen Raumfahrtagentur. Sie entwickelt das voraussichtlich 2027 installierte Messinstrument für die kosmische Strahlung.

„In der nahen Zukunft, nach Fertigstellung der chinesischen Raumstation, werden wir chinesische und ausländische Astronauten gemeinsam dort arbeiten sehen“, sagte Ji Qiming von der chinesischen Behörde für bemannte Raumfahrt vor kurzem in einer Presskonferenz. Die Teilnahme von Astronauten aus anderen Ländern sei garantiert. Ob und in welcher Form diese Teilnahme stattfinden wird, muss sich allerdings noch zeigen.

Klar scheint allerdings auch: Wenn Chinas rasante Entwicklung in der Raumfahrt so weiter geht, wird den meisten anderen Ländern möglicherweise kaum etwas anders übrigbleiben als mitzumachen. „Die Erkundung des Weltraums wird weitergehen – ob wir uns daran beteiligen oder nicht“, sagte schon 1962 der damalige US-Präsident John F. Kennedy bei seiner berühmten Mondrede in Texas.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Neue Weltraummacht China
Chinas Weg vom Paria zum Vorreiter der Raumfahrt

Aufholjagd im All
Chinas als neue starke Raumfahrtnation

Die große Spaltung
Wettstreit um die Vormacht im Weltraum

Zum Mond!
Chinas Pläne für lunare Missionen

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