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Biotechnologien

Nicht ohne Nebenwirkungen

Welche Folgen können embryonale Geneditierungen haben?

Während die Wissenschaft noch darüber streitet, ob Eingriffe in die menschliche Keimbahn ethisch verwerflich, vertretbar oder vielleicht sogar geboten sind, gibt es aus der Genforschung Neues zu den möglichen Folgen solcher Geneditierungen. Denn es mehren sich die Hinweise darauf, dass die Genschere CRISPR/Cas9 weniger zielgerichtet wirkt als bislang angenommen – und dass ihr Einsatz bei Embryos zahlreiche unerwünschte Veränderungen am Erbgut nach sich zieht.

Chromosom
Nach dem Versuch, nur ein Gen auf Chromosom 6 in embryonalen Zellen zu editieren, fehlten einigen Embryos später ganze Chromosomenabschnitte. © fotohunter/ Getty images

Bis zu 20.000 DNA-Basen verschwunden

Das Problem beruht auf einer Grundeigenschaft der Genschere: Sie schneidet zwar den defekten oder unerwünschten DNA-Abschnitt gezielt aus dem Erbgut aus. Die Reparatur dieses Schnitts und das Einfügen der fehlenden Basenabfolge übernimmt aber die Zelle selbst. Doch gerade in Keimzellen und im frühen Embryo scheint der Einsatz dieser zelleigenen DNA-Reparatursysteme häufiger als erwartet zu großräumigen Fehlern und Umbauten im Erbgut zu führen.

Ein Team um Gregorio Alanis-Lobato vom Francis Crick Institute in London hatte CRISPR/Cas9 eingesetzt, um bei menschlichen Embryonen eine Mutation im sogenannten POU5F1-Gen auf Chromosom 6 zu editieren. Nachfolgende Analysen enthüllten jedoch, dass nicht nur die gewünschte Änderung erfolgt war, sondern dass in angrenzenden Teilen des Chromosoms ganze Abschnitte fehlten oder umgelagert waren. Im Chromosom fehlten dadurch bis zu 20.000 Basenpaare.

„Solche unerwünschten Folgen der Geneditierung waren in rund 16 Prozent der von uns embryonalen Zellen präsent“, berichteten die Forschenden im Sommer 2020 (bioRxiv, doi: 10.1101/2020.06.05.135913).

Chromosomen-Arm fehlt

Ähnliches stellten Wissenschaftler um Michael Zuccaro von der Columbia University in New York fest (bioRxiv, doi: 10.1101/2020.06.17.149237). Sie hatten mithilfe der Genschere eine Mutation in frühen Embryos beseitigt, die die blindmachende Augenkrankheit Retinitis Pigmentosa verursacht. „Überraschenderweise war hatte dieser eine Schnitt am EYS-Gen zur Folge, dass ein Teil oder sogar das gesamte väterliche Chromosom 6 im Embryo verloren ging“, schreibt das Team. Bei rund der Hälfte der behandelten Embryos kam es zu solchen umfassenden Genverlusten, meist fehlte ein ganzer Arm des Chromosoms.

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Nach Ansicht von Zuccaro und seinem Team sind diese Ergebnisse Anlass zur Vorsicht: „Unsere Resultate dienen als mahnender Hinweis gegen den klinischen Einsatz solcher Geneditierungen durch induzierte Doppelstrangbrüche bei Embryos“, konstatieren sie. „Dabei kann Chromosomen-Material verloren gehen und Entwicklungsschäden verursachen.“

Geringere Lebenserwartung für CRISPR-Kinder?

Auch die beiden chinesischen Mädchen, die durch den Keimbahn-Eingriff von He Jiankui eigentlich vor HIV gefeit sein sollen, könnten davon mehr Nachteile als Nutzen haben. Zwar ist nicht bekannt, wie es den beiden Kindern heute geht, aber es gibt neue Daten dazu, wie sich die bei ihnen künstlich ausgelöste Mutation im CCR5-Gen auf ihre Träger auswirkt. Schon länger ist bekannt, dass diese Genvariante dem HI-Virus den Angriff auf die Zellen erschwert, gleichzeitig jedoch ihre Träger anfälliger gegenüber anderen Krankheitserregern wie Influenza oder das West-Nil-Virus macht.

Geneditierung
Noch sind die Nebenwirkungen und Spätfolgen einer Geneditierung beim Embryo weitgehend unbekannt. © ipopba/ Getty images

Deshalb haben zwei Forscher der University of California in Berkeley untersucht, wie sich die Präsenz von einem oder zwei Kopien dieser Mutation auf die Lebenserwartung ihrer Träger auswirkt. Dafür analysierten sie die Gendaten von 409.693 Briten, die in der UK Biobank gespeichert waren. Das Ergebnis: Personen mit zwei veränderten Kopien des CCR5-Gens hatten eine deutlich geringere Lebenserwartung als solche mit nur einem oder keinem mutierten Allel. „Sowohl die Zahl der Betroffenen in der Stichprobe als auch die Überlebensrate erzählen die gleiche Geschichte: Menschen mit zwei Kopien dieser Mutation haben eine höhere Sterblichkeit“, konstatiert Rasmus Nielsen.

„Wie Explosion einer Rakete noch auf der Startrampe“

Angesichts all dieser Ergebnisse kritisiert der Genforscher Fyodor Urnov von der University of California in Berkeley den Versuch, Keimbahn-Eingriffe in der Reproduktionsmedizin einzusetzen, als völlig verfrüht: „Wenn man die Keimbahn-Editierung mit der Raumfahrt gleichsetzte, dann wäre dies das Äquivalent einer Rakete, die noch auf der Startrampe explodiert“, so Urnov gegenüber „nature“.

Ähnlich sieht es auch Xinzhu Wei, der an der CCR5-Genstudie beteiligt war: „Die CRISPR-Technologie ist aktuell noch viel zu gefährlich, um sie für Eingriffe in die Keimbahn zu verwenden.“ Es darf aber bezweifelt werden, dass solche Mahnungen, Verbote oder Moratorien von Fachorganisationen weitere Versuche dieser Art verhindern können.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Eingriff in die Keimbahn
Manipulation am Betriebssystem des Lebens

Korrektur im Erbgut
Wie Gendefekte repariert werden

Tabu oder Chance?
Was spricht für Keimbahneingriffe – und was dagegen?

Grenzverschiebungen
Basteleien am menschlichen Embryo

Der "Sündenfall"
Die erste Geburt von geneditierten Kindern

Nicht ohne Nebenwirkungen
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