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Ökologie

Massenexitus in der Grafschaft Kent

Frostiger Winter kostet 40.000 Krabben das Leben

Sie besitzen knallrote Augen, lieben felsigen Untergrund und ihr Panzer ist von einem Flaum feiner Haare übersät: Teufels- oder Samtkrabben gehören zu auffälligsten Tieren, die es in der Nordsee gibt. Die in bis zu 70 Meter Wassertiefe lebenden Krebse sind darüber hinaus bei Gourmets aufgrund ihres überaus zarten und aromatischen Fleisches äußerst begehrt.

Ins Visier der Medien und Forscher geraten sind sie in letzter Zeit jedoch nicht durch ihr nahezu unverwechselbares „Outfit“ oder ihre kulinarischen Qualitäten, sondern durch ein auffälliges Krabbensterben. So wurden an den Küsten der britischen Grafschaft Kent in den vergangenen Wochen unzählige leblose Tiere angeschwemmt.

Broadstairs: So sieht die Viking Bay normalerweise aus © James Armitage / gemeinfrei

Vorsicht: Tote Krabben!

Betroffen davon war vor allem der District Thanet, der ein Gebiet an der Themse-Mündung umfasst. Dort waren die Strände von Orten wie Margate, Westbrook, Cliftonville und Kingsgate zeitweilig sogar dicht an dicht mit den Kadavern übersät. Forscher schätzen, dass insgesamt 40.000 Tiere verendet sind – mindestens. Daneben wurden auch viele tote Wellhornschnecken, Schwämme und Seeanemonen entdeckt.

So ganz überraschend kam der spektakuläre Meerestiere-Exitus 2011 jedoch nicht, denn schon im Jahr zuvor hatten sich ähnliche Vorfälle an den Küsten Kents ereignet. Damals ging das zuständige Umweltamt sofort dem Phänomen auf den Grund. Die Sorge: Ein mysteriöser, bis dahin unbekannter Virus könnte an dem Massensterben schuld sein und sich in Zukunft weiter ausbreiten.

Tod durch Unterkühlung

Doch die beauftragten Tierpathologen konnten bei ihren Untersuchungen keinen in Frage kommenden Erreger ermitteln. Stattdessen lautete das Ergebnis der Wissenschaftler: Tod durch Unterkühlung. Offenbar hatten der ungewöhnliche heftige Winter und die damit verbundenen sehr niedrigen Wassertemperaturen den Teufels-Krabben und anderen Meeresorganismen den Garaus gemacht.

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Da der Dezember 2010 in Großbritannien sogar der frostigste seit 120 Jahren war, gehen Forscher auch aktuell davon aus, dass die Krabben der Kälte zum Opfer gefallen sind. Der britische Wildtierexperte und zugleich Verantwortlicher für das Thanet Coast Project Tony Childs zeigte sich dennoch überrascht, dass noch einmal so viele Krabben gestorben sind: „Wir mussten einen enormen Verlust an Tieren im letzten Jahr hinnehmen und hatten eigentlich nicht mit einer so großen Population gerechnet.“

Aussterben ausgeschlossen?

Bei der Beseitigung der Krabbenleichen setzt er vor allem auf tierische Hilfe: „Auf den Kreislauf des Lebens in der Natur vertrauend, gehen wir davon aus, dass die Krabben bereits in Kürze mithilfe der einheimische Seemöwen von den Stränden verschwunden sein werden.“ Ein Aussterben der Teufelskrabbe in britischen Gewässern fürchtet Childs nicht. Ganz im Gegenteil: „Wir hoffen, dass sich die Population schon bald wieder erholt haben wird.“

Das klingt gut, ist aber vielleicht doch ein bisschen optimistisch. Denn sollten die nächsten Winter nicht mitspielen und so kalt werden wie in den letzten beiden Jahren, könnte 2012 wohl eher ein erneutes Massensterben drohen. Zudem sind in Sachen Krabbentod noch einige Fragen offen. Ein Beispiel: Warum verendeten die Tiere nur in England in großer Zahl und nicht auch vor der Küste Südnorwegens, das ebenfalls zu ihrem Lebensraum gehört und wo vergleichbare Wassertemperaturen herrschen?

Atlantischer Menhaden © Brian Gratwicke / CC-BY-SA-2.5

Fischsterben in Maryland

Dass Wetter und Klima die Überlebenschancen von Tieren in der Tat maßgeblich beeinflussen können, zeigt aber längst nicht nur das Beispiel Kent. Denn nahezu zeitgleich wurden im US-Bundesstaat Maryland in der Chesapeake Bay rund zwei Millionen tote Fische entdeckt – fast ausschließlich Augenfleck-Umbern und Atlantische Menhaden. Todesursache auch hier höchstwahrscheinlich: ungewöhnlich kalte Wassertemperaturen.

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Dieter Lohmann
Stand: 14.01.2011

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Inhalt des Dossiers

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