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Zoologie

Märchen, Monster, Mythen – und Wahrheit

Eine Geschichte von Angst und Bewunderung

Die Geschichte des Wolfs sind eigentlich zwei: Die eine erzählt vom Wolf selbst. Die andere vom Menschen, und wie er vom Verehrer zum größten Feind des Wolfes wurde. Beide sind so ineinander verstrickt, dass Wahrheit und Mythos manchmal kaum auseinander zu halten sind.

Der Wolf: Bruder und Mutter

Die Geschichte vom Wolf beginnt strahlend und ruhmvoll. Der Wolf wird verehrt: Von den Griechen als Symbol für den Kriegsgott Mars, von den Ägyptern als Gott des Totenreichs. Auch die nordamerikanischen Indianer sehen im Wolf einen Schutzgeist und einen Bruder der Jagd. Sie versuchen seine Jagdstrategien nachzuahmen, bewundern seine Taktik und sehen im Rudel ihr eigenes Stammesleben widergespiegelt. Als „Jagdbrüder“ suchen sie die gleiche Beute und respektieren ihre Territorien. Bei den Germanen schützen zwei Wölfe den Göttervater Odin, und die Römer verehren die Wölfin als Mutter ihrer Stadtväter Romulus und Remus:

Wölfin säugt Romulus und Remus © Daniel Goliasch

„Die Zwillinge Romulus und Remus aber sollte ein Diener nach des Königs Gebot in den Tiber werfen. Der Korb blieb aber im Geäst eines Feigenbaumes hängen, und als das Wasser gefallen war, stand er mit seiner wimmernden Fracht auf dem Trockenen. Der Kriegsgott Mars war besorgt um das Schicksal seiner Söhne und sandte ihnen die ihm geheiligten Tiere. Von der Höhe des Berges Palatinus kam eine Wölfin, die ihren Durst im Flusse löschen wollte, und bemerkte die hilflosen Kinder; sie schleppte sie in ihre Höhle, bettete sie weich und säugte sie“.

Die Wölfin versinnbildlicht in der Antike nicht nur die fürsorgliche Mutter, sondern auch die gnadenlose Beschützerin ihrer Kinder und ihres Territoriums. Der Wolf gilt daher in der Antike als Symbol für mütterliche Aufopferung aber auch für Stärke und ehrenvollen Tod; für den perfekten Krieger und Jäger. Eigenschaften die den Römern als erstrebenswert galten.

Vom Nebeneinander zum Gegeneinander

Auch in Europa jagen die Menschen noch in den ersten Jahrhunderten die gleiche Beute wie der Wolf, ohne dass es zu Konflikten kommt. Beide durchstreifen die weiten Wälder Europas und finden ein noch nahezu unbegrenztes Vorkommen an Wild. Das Miteinander ändert sich jedoch, als der Mensch sesshaft wird. Er beginnt ehemals wilde Rinder, Schafe und Ziegen als Nutztiere zu halten, und andere Tierarten als Haustiere zu erziehen. Die offenen Flächen sind noch klein in Europa und so treiben die Menschen ihr Vieh in den Wald, um es dort im Unterholz oder auf Lichtungen grasen zu lassen. Die Wölfe reißen wie eh und je ihre Beute, doch nun sind darunter auch die Tiere der Viehhalter. Menschen und Wölfe werden zu Konkurrenten.

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Zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert führen die steigenden Bevölkerungszahlen zum Wachstum der Siedlungen. Die Landwirtschaft entwickelt sich durch die Erfindung des Pfluges und der Dreifelderwirtschaft immer schneller und braucht neue Felder. Die Menschen holzen die Wälder systematisch ab und verkleinern damit den Lebensraum der Wölfe. Bereits 813 ruft Karl der Große die gezielte Wolfsjagd ins Leben, um die Anzahl der Raubtiere im Verhältnis zu den schrumpfenden Waldflächen zu halten. Der Mensch drängt den Wolf in die immer kleineren Wälder zurück, in denen er gleichzeitig die Nahrungsquellen des Wolfes bejagt. Übergriffe auf Herden in Waldesnähe häufen sich, da der Wolf im Wald immer weniger Wildtiere findet.

Der „böse Wolf“

Der Wolf im Mittelalter © NABU

Der große Hunger während der extrem kalten Winter um 1250 führt vermutlich sogar zu vereinzelten Wolfsangriffen auf den Menschen. Doch die meisten Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass die Aggressionen der Wölfe gegenüber dem Menschen in fast allen Fällen von der Tollwut hervorgerufen wurden. Die Tollwut breitet sich verstärkt im Hochmittelalter aus und viele Wölfe infizieren sich mit der Virenerkrankung. Ihnen tritt Schaum vor den Mund und der Virus macht sie äußerst aggressiv. Mit der Gründung der Inquisition wird ein Gehilfe des Teufels amtlich: der Werwolf. Eine blutrünstige Bestie, die Menschen frisst, Schafe reißt und mit dem Teufel in Kontakt steht. Halb Mensch, halb Wolf wird er ab dem 15. Jahrhundert von der Inquisition als Kämpfer des Bösen gejagt. Wie die Hexen wird er zum Teil rituell verbrannt oder sogar gehängt.

Immer stärker wird der Wolf als Geschöpf des Bösen gesehen. Geschichten über Angriffe von Wölfen auf ganze Dörfer werden erzählt. Angebliche Augenzeugenberichte tauchen auf, die Menschenfressende Ungeheuer mit rot leuchtenden Augen beschreiben. Daraufhin wird dem Wolf bereits in Fabeln und Märchen seine böse Rolle zugeteilt, um Kinder und Erwachsene das Fürchten zu lehren:

„Ei, Großmutter, was hast du für große Ohren!« »Daß ich dich besser hören kann.« »Ei, Großmutter, was hast du für große Augen!« »Daß ich dich besser sehen kann.« »Ei, Großmutter, was hast du für große Hände« »Daß ich dich besser packen kann.« »Aber, Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul!« »Daß ich dich besser fressen kann.« Kaum hatte der Wolf das gesagt, so tat er einen Satz aus dem Bette und verschlang das arme Rotkäppchen“.

Rotkäppchen und der Wolf © Projekt Gutenberg

1812 veröffentlichen die Gebrüder Grimm ihr Märchen „Rotkäppchen und der Wolf“. Bis heute werden damit Generationen von Kindern zur Angst vor dem Wolfs erzogen.

Zu der Zeit besiegelt die Verbreitung der modernen Handfeuerwaffe jedoch das Ende der Wölfe in Europa. Denn nicht nur das Raubtier fällt den Jagdgesellschaften des Hofstaates zum Opfer, sondern auch seine Beute, das Rotwild. 1807 wird im Bayrischen Wald der letzte Rothirsch geschossen und in den Jahren darauf werden die letzten Wölfe in fanatischen Hetzjagden getötet. Sie tragen Beinamen wie „Der Schrecken von Davert“, „Tiger von Miltenberg“ oder der „Tiger von Salbrodt“. Der letzte in Deutschland lebende Wolf fällt 1849 der Jagdwut zum Opfer.

Ein „Happy End“?

Erst nachdem der Wolf heute in Nordamerika und Mitteleuropa fast vollständig ausgerottet ist, ändert sich sein Ruf wieder. Jetzt haben die modernen Wissenschaftler die bedrohte Tierart für sich entdeckt. Doch sie erzählen eine Wahrheit, die oft wie ein Märchen klingt. Sie handelt davon, wie fürsorglich Wolfsmütter zu ihren Welpen sind, wie die Wölfe miteinander „sprechen“, und wie junge Wölfe für ihre alten Verwandten sorgen. Jetzt spielen Wölfe in Dokumentationen erstmals die Hauptrolle und Hollywood dreht 1990: „Der mit dem Wolf tanzt“. Der Film wird ein weltweiter Erfolg. Für viele steht der Wolf von jetzt an als Symbol für Freiheit und Wildnis. Für die letzten großen Abenteuer dieser Welt.

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Stand: 30.09.2005

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Comeback der Wölfe
Neubeginn zwischen Faszination und Schrecken

Die Chronologie eines Wiedersehens
Von den ersten Schritten bis zu den jüngsten Welpen

Freud und Leid - Der Wolf ist da
Zwei Seiten einer Medaille

Wüste, Gebirge, Ewiges Eis – der Wolf ist überall
Auf der Suche nach einer neuen Heimat

Der Weg der Wölfe
Gibt es eine Wanderroute der Wölfe nach Deutschland?

Wer hat Angst vorm „bösen“ Wolf?
Mensch trifft Wolf

Märchen, Monster, Mythen - und Wahrheit
Eine Geschichte von Angst und Bewunderung

Von Rudelführern und Heulsusen
Das soziale Verhalten der Raubtiere

Der Wolf im Zielfernrohr
Der Jäger wird gejagt

Hunde im Schafspelz, Lappen und Elektroschocker
Wie Schafe sich den Wolf vom Hals halten

Warum Wölfe Manager brauchen
Die Zukunft von Isegrim

Steckbrief
Kurzinfos zum Wolf

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