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Phänomene

Lippenteller gefällig?

Der gemeinsame Nenner der Schönheit

Viele Kleidungsstücke, die wir in den Achtzigern noch mit Begeisterung getragen haben, würden wir heute nicht mehr anziehen. Ähnlich vergänglich wie die Mode scheint auch menschliche Schönheit zu sein. Schließlich hätte die typische Rubens-Frau heutzutage nicht einmal mehr Chancen auf einen Modeljob für einen Katalog mit Mode für Mollige.

Ebenso gelten in unterschiedlichen Kulturen verschiedene Schönheitsideale. Die auf Tellergröße gedehnten Unterlippen gelten bei äthiopischen Surma-Frauen als schön – bei den Apa Tani im Nordosten von Indien genießt diejenige Frau das höchste Ansehen, die ihren Nasenrücken durch eingelegte Scheiben am meisten vergrößert hat. Andererseits gilt Nofretete, die Gemahlin des ägyptischen Königs Echnaton nach Tausenden von Jahren auch in unserer Kultur als sehr schön. Ändert sich das Schönheitsideal also fortwährend oder gibt es eine zeitlose, völkerübergreifende Schönheit?

Zeitlos schön: Nofretete © Reinhard Schmid

Es scheint so, zumindest ergaben Tests mit verschiedenen Fotos von Gesichtern, dass so unterschiedliche kulturelle Gruppen wie US-Amerikaner, Lateinamerikaner, Briten, Deutsche, Koreaner, Inder, Chinesen, Nigerianer, Südafrikaner, Russen und Japaner übereinstimmende Urteile fällen und mehrheitlich die gleichen Gesichter auswählen. Aber könnte dieses Ideal in unserer vernetzten Welt nicht auch durch die Medien anerzogen sein?

Um diese Frage zu klären, beobachtete die texanische Psychologin Judith Langlois das Verhalten von Babys. Da die drei bis sechs Monate alten Säuglinge noch nicht durch die Medien gelernt haben können, was Schönheit bedeutet, war sie gespannt, ob sich bereits bei Babys eine Präferenz für bestimmte Gesichter abzeichnen würde. Und wenn ja: für welche? Das Ergebnis: Die jungen Probanden sehen sich einige Gesichter länger an als andere – vermutlich weil sie diese gerne sehen, also schön finden. Es waren genau die gleichen Gesichter, die auch von Erwachsenen als attraktiv bewertet wurden – die Wahrnehmung von Schönheit und das Empfinden, was als schön gilt, scheint also vererbt zu sein.

Ganz statisch bleibt die Idealvorstellung allerdings nicht. Äußere Einflüsse wie die Medien spielen dabei eine entscheidende Rolle. So wurde gerade im 20. Jahrhundert das bevorzugte Ideal stark durch das aufkommende Kino verbreitet. Auch gesellschaftliche Faktoren sind nicht unbedeutend. Nach dem Krieg galten gut genährte Frauen als anziehend, es waren gesunde Mütter gefragt, die kräftige Nachkommen zeugen können. Erstaunlich ist auch, dass sich Schlankheitswellen immer dann durchgesetzt haben, wenn eine feministische Bewegung aufkam und die Frauen sich emanzipierten.

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Ebenso wie sich ein Look im Laufe der Zeit ändert, wird es auch immer Kulturen geben, in denen sich ein aus unserer Sicht bizarres Schönheitsideal etabliert hat. Dennoch: solange harmonische Proportionen gewahrt werden, die Maße des Körpers zueinander passen, keine extremen Abweichungen von der Norm und keine äußerlich erkennbaren Anzeichen einer Krankheit sichtbar sind, gilt ein Mensch selten als wirklich unattraktiv.

Anscheinend liegt also das Grundverständnis von Schönheit nicht besonders weit auseinander – viele Attribute, die als schön gelten haben sich schließlich innerhalb der Menschheitsgeschichte evolutiv entwickelt – und sind somit für alle Menschen ähnlich. Auch wenn sich Mode und Zeitgeist ändern: Einen wirklich schönen Menschen kann (nahezu) nichts entstellen.

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Stand: 01.07.2005

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Schönheit
Symmetrie, Kindchenschema und Proportionen

Wettstreit der Göttinnen
Warum wollen wir überhaupt schön sein?

Voll normal
Ist Durchschnitt Trumpf?

Spieglein, Spieglein an der Wand...
Symmetrie und Kindchenschema

Mehr Geld, mehr Sex, mehr Freunde
Schöne haben's leichter

Twiggy oder Rubensfrau
Schönheit im Wandel der Zeit

Lippenteller gefällig?
Der gemeinsame Nenner der Schönheit

Es grünt so grün
Welche Landschaft ist schön?

Mozart oder Madonna?
Schöne Musik

Starb Napoleon an der Farbe Grün?
Farben und ihre Wirkung

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