Anzeige
Energie

Koloss auf Schienen

Eine neue Schutzhülle für den Reaktor

Zurzeit laufen die Arbeiten im ehemaligen Atomkraftwerk von Tschernobyl auf Hochtouren. Denn ein historischer Moment steht kurz bevor: Der alte, löchrige Sarkophag um Reaktor 4 bekommt eine neue Hülle. Mehr als 3.000 Arbeiter fahren dafür jeden Tag in die Sperrzone rund um das Reaktorgelände, um an diesen ehrgeizigen, fast eine Milliarde Euro teuren Projekt zu arbeiten.

Größtes bewegliches Gebäude der Welt

Die Herausforderung dabei: Weil die havarierte Reaktorruine selbst an der Außenseite des Sarkophags stellenweise noch stark strahlt, muss der riesige neue „Sarg“ in sicherer Entfernung konstruiert werden. Schon zwölf Minuten Aufenthalt über dem Sarkophag reichen aus, um 20 Millisievert und damit die erlaubte Jahresdosis zu bekommen. Die zwei Teile des „New Safe Containment (NSC) werden daher in zwei auf Schienen stehenden Teilen gebaut und erst nach ihrer Fertigstellung verbunden und dann über den Sarkophag geschoben.

{1}

Voraussichtlich im November 2017 könnte es soweit sein: Die insgesamt gut 35.000 Tonnen schwere Konstruktion wird dann mit Hilfe hydraulischer Hebe- und Gleitsysteme in Bewegung gesetzt. Mit zehn Metern pro Stunde fahren dann die beiden Teile der Hülle über den alten Sarkophag – 330 Meter müssen sie dafür zurücklegen. Nach seiner Fertigstellung wird das NSC das größte bewegliche Gebäude der Welt sein.

Stahlträger mit Sandwich-Paneelen

Die 109 Meter hohe und 162 Meter lange Konstruktion besteht aus zwei Schichten von bogenförmigen Stahlträgern, die jeweils die Hüllverkleidung aus einem speziell entwickelten Verbundmaterial tragen. Die Platten bestehen unter anderem aus Edelstahl und Polycarbonat. Zwischen diesen beiden Hüllen sorgen computergesteuerte Klimasysteme dafür, dass die Luft dort warm und trocken bleibt, um eine Korrosion des Metalls zu verhindern. Die Spannweite der äußeren Stahlbögen liegt bei 270 Metern.

Anzeige

Nach Aussagen der Konstrukteure nach soll die neue Schutzhülle dank ausgefeilter Technik und Antikorrosionsmaßnahmen mindestens 100 Jahre halten. Das NSC soll sogar einen Tornado der Klasse 3 und einem Erdbeben der Magnitude 6 standhalten können. Die Materialkombination soll zudem Kälte von bis zu minus 43 Grad und Hitze bis zu 45 Grad vertragen.

Die beiden Teile des New Safe Containment im April 2015 - frisch zusammengefügt. © Tim Porter/ CC-by-sa 4.0

Ferngesteuerter Rückbau

Eine weitere Besonderheit der neuen Hülle: Im Innenraum sind mehrere große, fernsteuerbare Kräne angebracht, die beim Abtragen und Demontieren des alten Sarkophags und später der Reaktorruine eingesetzt werden sollen. Die Stahlbögen der Hülle musste daher so stabil gebaut werden, dass sie sowohl die Last der Kräne als auch das Gewicht tonnenschwerer Beton- und Metallteile tragen können.

Im Oktober 2015 ist ein wichtiger Meilenstein des NSC-Projekts abgeschlossen: Die beide Teile der riesigen Konstruktion werden zusammengeschoben und mit gut 1.000 Bolzen verbunden. Letze Teile der Verkleidung müssen nun noch angebracht werden, dies war im März 2016 zu 85 Prozent abgeschlossen. Zurzeit finden die Arbeiten vor allem im Inneren der neuen Hülle statt, Kräne, Elektronik, Sensoren, Lüftungsanlagen und weitere technische Anlagen müssen nun noch eingebaut werden.

  1. zurück
  2. |
  3. 1
  4. |
  5. 2
  6. |
  7. 3
  8. |
  9. 4
  10. |
  11. 5
  12. |
  13. 6
  14. |
  15. 7
  16. |
  17. weiter

Nadja Podbregar
Stand: 22.04.2016

Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

30 Jahre Tschernobyl
Der größte Atomunfall der Geschichte, eine Ruine und die Folgen

Die Vorgeschichte
Eine Katastrophe bahnt sich an

Der Unfall
Der GAU ist nicht zu stoppen

Tödliche Terra inkognita
Uranlava, ein löchriger Sarkophag und viel Staub

Hochradioaktive Brühe
Die Tschernobyl-Ruine hat ein Wasserproblem

Koloss auf Schienen
Eine neue Schutzhülle für den Reaktor

In der "verbotenen Zone"
Gefahrenzone, Refugium und Forscherparadies in einem

Diaschauen zum Thema

News zum Thema

Tschernobyl: Wildtiere kehren zurück
Elche, Hirsche und Wölfe finden in der verstrahlten Sperrzone ein Rückzugsgebiet

Tschernobyl: Neue Welle der Radioaktivität?
Zunehmende Brände verteilen Radionuklide aus der Sperrzone über Europa

Tschernobyl: Vögel haben sich angepasst
Zellen produzieren mehr Schutzmoleküle gegen DNA-Schäden und Zellstress

Tschernobyl: Langzeitstudie bilanziert Krebsfolgen
Durch Strahlung verursachter Schilddrüsenkrebs ist zwar aggressiv, aber behandelbar

25 Jahre danach: Tschernobyl noch immer gefährlich
Greenpeace fordert Staatengemeinschaft auf, Bergung des Kernbrennstoffs angehen

Dossiers zum Thema

Uran - Wichtiger Rohstoff – strahlende Gefahr