2011 aber brach das bisherige Bild einer in großen Teilen überflüssigen Junk-DNA dann endgültig in sich zusammen. Denn Forscher des internationalen ENCODE-Projekts entdeckten Erstaunliches: In Wirklichkeit bildet fast die gesamte Junk-DNA ein gewaltiges Steuerpult für unser Erbgut: Sie enthält Millionen molekularer Schalter, die unsere Gene nach Bedarf an- und abschalten können – und dies auch dort, wo zuvor nur instabile Wüste vermutet wurde.
Millionen Schalter im „Müll“
In einer umfangreichen Karte hielten die Forscher fest, wo welche Steuerelemente liegen und wie sie verteilt sind. Dabei zeigte sich, dass die Kontrollschalter oft unerwartet weit weg von dem Gen liegen, das sie steuern. Aufgrund der komplexen dreidimensionalen Form, mit der die DNA-Stränge aufgerollt und umeinander gewunden sind, können sie sich jedoch trotzdem nahe kommen und ihre regulierende Wirkung ausüben.
„Unser Genom ist ganz offensichtlich nur lebendig mithilfe von Schaltern: Millionen von Abschnitten, die bestimmen, ob Gene an- oder ausgeschaltet sind“, fasst Birney die aktuellsten Ergebnisse des ENCODE-Projekts zusammen. „Wir beginnen nicht nur zu verstehen, wo bestimmte Gene liegen, sondern auch, welche Sequenzen diese kontrollieren.“
Neue Gene aus der Junk-DNA
Dass die Junk-DNA aber keineswegs nur regulierende Funktionen übernimmt, entdeckte eine deutsche Forschergruppe vor kurzem. Sie fanden bei Mäusen ein Gen auf Chromosom 10, das neu aus einem zuvor funktionslosen DNA-Abschnitt entstanden sein musste. Mit Hilfe von Erbgutvergleichen datierten die Wissenschaftler die Geburt dieses neuen Gens auf eine Zeit vor rund 2,5 bis 3,5 Millionen Jahren. Durch eine zufällige Abfolge von Mutationen in der Junk-DNA musste sich damals allmählich dieses Gen gebildet haben.
„Unser neu entdecktes Gen ist das einzige, das sich in der Mitte eines langen nicht-kodierenden Chromosomenabschnitts befindet“, sagt Fabian Staubach vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön. „Der gleiche Abschnitt kommt auch in allen anderen uns bekannten Säugetier-Genomen vor. Aber nur bei Mäusen existiert dieses Gen.“
Dass ein Gen theoretisch an einer bislang funktionslosen Stelle der DNA entstehen kann, hatten Forscher schon zuvor nicht ausgeschlossen, einen Beweis dafür gab es allerdings bisher nicht. Wie genau dieser Prozess vonstattengeht, konnten die Plöner Wissenschaftler ebenfalls feststellen: „Durch eine Reihe von Sequenzanalysen konnten wir konkrete Mutationen identifizieren, die nur in der Maus vorkommen und die wir für die de novo-Entstehung des Genes verantwortlich machen“, sagt Staubach.
Damit ist klar: Die Zwischenräume zwischen den klassischen Genen sind alles andere als nutzlos. Sie sind stattdessen integraler und entscheidend wichtiger Teil unserer genetischen Ausstattung. Und auch in vielen Gentests spielen diese nicht-kodierenden Genabschnitte heute längst eine Hauptrolle.
NPO
Stand: 16.05.2012