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Medizin/Genetik

Gentherapien für Orphan Diseases

Wie können seltene Erkrankungen behandelt werden?

Das schnell wachsende Feld der Gentherapien bietet besonders bei den seltenen Erkrankungen neue Chancen. Denn ein Großteil der „Orphan diseases“ sind auf ein einzelnes Gen zurückzuführen und Gentherapeutika können diese Defekte im Genom der Betroffenen reparieren. Typischerweise wird dafür Genmaterial mit der korrigierten DNA-Abfolge durch eine virale „Genfähre“ in das Erbgut des Betroffenen eingeschleust.

Gentherapie
Genetische Ursachen der seltenen Erkrankungen können mit Gentherapien behandelt werden. © vchal / iStock.com

Viren gelten als gut geeignete Gen-Taxis, denn sie sind von Natur aus darauf ausgerichtet, ihr Erbgut in Zellen einzuschleusen. Dafür docken sie an die Oberfläche von menschlichen Zellen an und injizieren ihr Erbgut. Daraufhin fangen die Zellen an, die in der Erbsubstanz codierten Proteine zu produzieren, was sich wiederum die Entwickler von Gentherapien zu Nutze machen: Sie entfernen alle für den Menschen schädlichen Gene des Virus und ersetzen sie durch den „gesunden“ DNA-Abschnitt, der den Patienten sonst fehlt.

EU schafft Anreize für Pharmaunternehmen

Um die Entwicklung von Therapien gegen seltene Erkrankungen voranzutreiben, verabschiedete die Europäische Union im Jahr 2000 die Orphan Drug-Verordnung. Damit sollten wirtschaftliche Anreize für das Design solcher Medikamente geschaffen werden.

Beispielsweise sind Pharmaunternehmen für zehn Jahre vor sogenannten Nachahmer-Präparaten geschützt. Das bedeutet, dass Medikamente nicht für die gleiche Krankheit zugelassen werden können, wenn sie nicht signifikant besser wirken und weiteren medizinischen Fortschritt bringen. Somit können sich Unternehmen ein Alleinstellungs-Merkmal verschaffen. Ein weiterer wirtschaftlicher Anreiz durch diese Verordnung wird durch reduzierte Gebühren für die Zulassung und die wissenschaftliche Beratung durch die Zulassungsbehörde EMA geschaffen.

Die Beantragung des Orphan-Drug-Status bringt für Pharmaunternehmen also einige Vorteile. Dies führte seit 2000 zu einem deutlichen Anstieg der Zulassung für Medikamente gegen seltene Erkrankungen: Während die Forschung vor dem Jahr 2000 etwa ein Medikament pro Jahr herausbrauchte, liegt die Zahl der pro Jahr zugelassenen Medikamente mittlerweile im zweistelligen Bereich.

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Die Zwei Millionen Dollar-Frage

Aktuell sind in der EU für 143 seltene Erkrankungen Medikamente zugelassen, darunter beispielsweise den schwere Immundefekt ADA-SCID, die Stoffwechselerkrankung Alpha-Mannosidase oder die Muskelkrankheit Duchenne Muskeldystrophie.

Gentherapie
Eine Infusion mit der Gentherapie Zolgensma gegen Spinale Muskelatrophie ist sehr teuer. © Marian Vecjciki / iStock.com

Am 18. Mai 2020 erhielt die Gentherapie Zolgensma gegen Spinale Muskelatrophie von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) eine Zulassung. Mit einer einzigen Infusion kann damit die lebendsbedrohliche Krankheit, von der in Deutschland jährlich etwa 80 Kinder betroffen sind, geheilt werden. Allerdings geraten Eltern und Krankenkassen unter Druck: Mit 1,945 Millionen Euro ist die Gentherapie Zolgensma das bislang teuerste Medikament der Welt.

Wie kommen solche horrenden Preise zu Stande? Nach Angaben der Pharmaindustrie belaufen sich die Kosten für die Entwicklung eines solchen Medikaments auf etwa zwei Milliarden US-Dollar. Das liegt unter anderem daran, dass 90 Prozent aller Versuche, ein neues Medikament zu entwickeln, fehlschlagen. Es müssen also auch die Kosten für die zahlreichen misslungenen Medikamente abgedeckt werden.

Außerdem gibt es in der Regel wenig Kunden: Damit sich die Entwicklung einer Gentherapie für die Hersteller lohnt, muss das Medikament bei nur einigen hundert potenziellen Abnehmern etwa eine Million US-Dollar kosten. Und die Pharmaunternehmen, wissend um die Verzweiflung der Eltern eines Kindes mit Gendefekt, verlangen auch solche Preise.

Wie stemmen das die Krankenkassen?

In Deutschland werden die Kosten der Gentherapien bei einem nachgewiesenen medizinischen Nutzen in den meisten Fällen von den Krankenkassen übernommen, so dass das finanzielle Risiko bei den Kassen liegt. Vor allem unter dem Gesichtspunkt der steigenden Anzahl von Zulassungen der teuren Gentherapien verlangen deshalb nun viele Krankenkassen nach einem neuen Erstattungsmodell.

Da die Behandlung mit Gentherapien meist einmalig erfolgt, müssen die Krankenkassen den hohen Preis der Medikamente meist auch auf einen Schlag bezahlen. Eine gestaffelte Bezahlung des Preises über Jahre könnte hier eine Lösung sein. Eine weiteres alternatives Erstattungskonzept sieht erfolgsabhängige Modelle vor, auch genannt „Pay-for-performance“. Da oft Langzeitstudien fehlen und nicht genau klar ist, ob die Therapie ein Leben lang wirkt, sollen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt Erfolge bei der Behandlung nachgewiesen werden. Wirkt die Therapie nicht so wie gedacht, verpflichtet sich das jeweilige Pharmaunternehmen zu Rückzahlungen.

Ob sich die Modelle durchsetzen, bleibt abzusehen. Doch um die Zukunft der Heilung von seltenen Erkrankungen mit Gentherapeutika nicht zu gefährden, müssen Hersteller und Krankenkassen eine Lösung finden.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Seltene Erkrankungen
Massenphänomen und trotzdem unbekannt

Selten und doch ein Massenphänomen
Der lange Weg zur Diagnose

Mutation oder Infektion?
Seltene Erkrankungen haben verschiedene Ursachen

Die seltensten unter den Seltenen
Vom Steinmann-Syndrom bis zur Progerie

Selten… und dennoch bekannt
Einige seltene Krankheiten erlangen weltweite Bekanntheit

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