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Medizin

Evolution in Aktion

Unsere Anatomie verändert sich

Während viele anatomische Neuentdeckungen erst durch neue Verfahren aufgespürt wurden, gibt es auch einige Strukturen, die vorher schlicht nicht da waren – oder zumindest nicht bei jedem Menschen. Sie zeugen davon, dass auch wir Menschen noch „Work in Progress“ sind und der Evolution unterliegen.

Muskeln
Manchen Menschen fehlen diese Muskeln im Unterarm oder Unterschenkel. © Grays Anatomy/ historisch

Wenn Muskeln verschwinden…

So gibt es einige Muskeln in unserem Bauplan, die bei einigen Menschen vorkommen, bei anderen dagegen nicht. Dazu gehört der Musculus palmaris longus, ein dünner Muskelstrang an der Vorderseite unsers Unterarms. Er hilft dabei, das Handgelenk zu beugen. Ist dieser Muskel vorhanden, tritt seine Sehne beim Abknicken der geschlossenen Faust nach innen an der Handgelenksinnenseite mittig hervor. Doch bei rund 13 Prozent der Menschen fehlt dieser Muskel komplett, andere haben ihn nur in einem ihrer beiden Unterarme.

Ein weiteres Beispiel ist der Musculus plantaris an der Rückseite unserer Unterschenkel. Dieser bei der Beinbeugung aktive Muskel ist bei Affen und Halbaffen noch sehr kräftig ausgebildet. Bei Menschenaffen und uns Menschen sind von ihm aber nur noch eine kleine Muskelpartie in Knienähe und eine lange bis zur Ferse ziehende Sehne übrig. Etwa zehn Prozent aller Menschen haben diesen Muskel gar nicht mehr. Das könnte dafür sprechen, dass der Plantarismuskel vielleicht beim Klettern wichtig war, für den aufrechten Gang unser menschliches Bewegungsrepertoire aber weitgehend überflüssig ist – deshalb beginnt die Natur ihn einzusparen.

…oder Adern hinzukommen

Aber auch den umgekehrten Fall gibt es: Anatomische Strukturen und Organe, die ursprünglich gar nicht oder nur zeitweise vorhanden waren, aber heute vermehrt vorkommen. Ein besonders eklatantes Beispiel dafür ist die Median-Arterie in unserem Unterarm. Diese Mittelader wird im frühen menschlichen Embryo gebildet, verschwindet aber normalerweise nach rund acht Wochen wieder. Ab dann übernehmen zwei seitliche Arterien ihre Aufgabe.

Schon früher gab es vereinzelte Fälle von Menschen, die diese dritte Unterarmarterie auch nach der Geburt noch behielten. Doch wie Forscher um Teghan Lucas von der Flinders University kürzlich herausfanden, hat sich der Anteil der Menschen mit einer solchen dritten Ader in den letzten 100 Jahren deutlich erhöht – von damals knapp zehn Prozent auf heute mehr als 30 Prozent. „Wenn dieser Trend anhält, dann könnten bis zum Jahr 2100 fast alle Menschen diese Median-Arterie im Unterarm besitzen“, sagt Lucas.

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Dies sei ein perfektes Beispiel dafür, dass wir uns noch immer weiterentwickeln. Wie die Forscher erklären, deutet der Trend zur dritten Arterie darauf hin, dass ihre Präsenz einen Selektionsvorteil bedeutet. Tatsächlich verbessert sie die Blutversorgung von Unterarm und Hand. Gleichzeitig jedoch macht sie uns anfällig für ein Karpaltunnelsyndrom. Weil sich dieses jedoch heute behandeln lässt, überwiegen offenbar die Vorteile.

Fabella
Röntgenbild einer Fabella im Knie.© Jmarchn/ CC-by-sa 3.0

Trend zum Knöchelchen im Knie

Und noch eine anatomische Struktur ist bei uns Menschen im Kommen: die Fabella, eine bohnenförmige Verknöcherung in einer Sehne an der Knierückseite. Noch vor gut 100 Jahre kam ein solches Sesambein nur bei gut zehn Prozent der Menschen vor, heute sind es mehr als 36 Prozent. Dabei gibt es jedoch regionale Unterschiede: In Asien haben mehr als die Hälfte aller Menschen eine Fabella im Knie, in Afrika dagegen besitzt sie nur jeder Fünfte.

Merkwürdig auch: Bei fast allen Altweltaffen gehört dieses Sesambein zum Grundbauplan., bei Menschenaffen kommt es dagegen gar nicht vor. „Nur bei uns Menschen ist dieses verloren gegangene Knöchelchen wiederaufgetaucht. Die Frage ist warum“, so Michael Berthaume vom Imperial College London. Er und seine Kollegen vermuten, dass die Ausbildung der Fabella auf eine Mischung aus genetischen und umweltbedingten Faktoren zurückgeht. Doch welche dies sind, ist noch unklar.

 

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Anatomische Überraschungen
Neuentdeckungen im menschlichen Bauplan

Von Herophilos bis zum Tissue Clearing
Wie sich die Anatomie weiterentwickelt hat

Auge, Knie und Rachen
Neue Strukturen in altbekannten Regionen

Unerkannte Bahnen
Versteckte Leitungssysteme in unserem Körper

Evolution in Aktion
Unsere Anatomie verändert sich

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