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Ein kleiner Schluck für einen Forscher…

Helicobakter pylori und die Magenkrebs-Connection

Nicht nur Viren, auch andere Mikroorganismen können Tumore hervorrufen. Doch bis sich diese Erkenntnis durchsetzt, muss wieder einmal ein Dogma der Medizin zu Fall gebracht werden. Am Anfang dieser neuerlichen Revolution stehen ein beharrlicher Wissenschaftler, ein Selbstversuch und ein großer Schluck. Hauptakteure der Geschichte sind der australische Wissenschaftler Barry Marshall und sein Kollege Robin Warren sowie ein stäbchenförmiges Bakterium, Helicobacter pylori.

Magenbakterium Helicobacter pylori © NCI

Wir schreiben das Jahr 1982. In der Welt der Medizin gilt das Paradigma: „Bakterien sind überall –aber der menschliche Magen ist bakterienfrei.“ Denn, so die gängige Lehrmeinung, Mikroorganismen können in dem extrem sauren Milieu des Verdauungsorgans nicht überleben, die Magensäure macht allem den Garaus. Und nicht nur das. Die Säure ist es auch, so glaubt die Mehrheit aller Ärzte und Pharmakologen aber auch der Patienten, die Schuld ist an schmerzhaften Entzündungen der Magenschleimhaut und den häufig daraus entstehenden Magengeschwüren. Nach dem Motto: „Keine Säure, kein Geschwür“ wirbt die Pharmaindustrie für Säureblocker verschiedendster Art und die Verkaufszahlen sind entsprechend hoch.

Im Magen lebt es

Doch dann entdeckt der Pathologe Robin Warren bei der mikroskopischen Untersuchung von Gewebeproben aus Magengeschwüren und entzündeter Magenschleimhaut etwas, was es eigentlich nicht geben dürfte: Putzmuntere Bakterien. Und das in mehr als der Hälfte aller von ihm untersuchten Proben. Ihre Menge scheint zudem auch noch mit der Schwere der Entzündung in Zusammenhang zu stehen. Überzeugt, dass seine Entdeckung irgendetwas zu bedeuten haben muss, kontaktiert Warren den Internisten Barry Marshall.

Beiden gemeinsam gelingt es erstmals, das Bakterium in Kultur zu züchten. Damit ermöglichen sie mikrobiologische Untersuchungen, die enthüllen, wie das Bakterium den lebensfeindlichen Bedingungen des Mageninneren trotzt. Zum einen nutzt es seine Geißeln, um sich tief in die schützende Schleimschicht einzugraben und dort an den Schleimhautzellen anzudocken. Mithilfe eines Enzyms, der Urease, zerlegt es gleichzeitig die von den Zellen abgegebene Harnsäure in Kohlendioxid und Ammoniak. Damit schafft sich ein neutrales Umfeld und umgeht die Mikrobenabwehr-Strategie des Magens.

Ein Schluck macht Geschichte

Doch diese Erkenntnisse belegen leider noch lange nicht, dass das Bakterium tatsächlich der Auslöser einer Entzündung oder sogar von Krebs ist. Auch wenn die statistischen Zahlen darauf hindeuten, fehlt der letztendliche Beweis. Nach monatelangen Experimenten entschließt sich Marshall im Juli 1984 zu einem radikalen Schritt: dem Selbstversuch. Er trinkt eine brackige Lösung von Milliarden Bakterien, frei nach dem Motto: Ein kleiner Schluck für einen Menschen – ein großer für die Medizin. „Jeder sagte: ‚Du bist verrückt’“, erzählt Marshall später. „Es schien eine viel zu unglaubliche Erklärung für etwas so Komplexes wie Magengeschwüre zu sein.“

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Doch der Versuch gibt ihm Recht. Nach wenigen Tagen entwickelt er grippeähnliche Symptome, nach zwei Wochen eine Magenschleimhautentzündung. Eine Gewebeprobe enthüllt deutlich einen Belag von unzähligen Bakterien auf den Schleimhautzellen des Wissenschaftlers. Damit hat Marshall Helicobacter zwar eindeutig als Verursacher einer Entzündung enttarnt. Der von ihm postulierte Zusammenhang zwischen dem Bakterium und Magenkrebs ist allerdings noch nicht bewiesen.

Blut verrät Täterschaft

Inzwischen sind jedoch auch andere Forscher auf seine Hypothese aufmerksam geworden und haben festgestellt, dass sich das Bakterium über Antikörper im Blut nachweisen lässt. Gleich drei groß angelegte epidemiologische Studien bauen darauf auf. Sie untersuchen gezielt das vor Jahrzehnten im Rahmen anderer Studien entnommene und gelagerte Blut von Tausenden von Magenkrebspatienten auf die Helicobacter-Antikörper und vergleichen die Ergebnisse mit den Blutwerten einer genauso großen, aber krebsfreien Patientengruppe. Die statistische Analyse ist eindeutig: Diejenigen, die vor 20 Jahren mit dem Bakterium infiziert waren, haben mit sechs Mal höherer Wahrscheinlichkeit Krebs entwickelt als die Helicobacterfreien. Die Ergebnisse sind so überzeugend, dass schließlich auch das wissenschaftliche Establishment in Form der WHO Agentur für Krebsforschung (IARC) den Zusammenhang anerkennt: 1994 wird Helicobacter pylori offiziell als Klasse 1 Karzinogen eingestuft.

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Stand: 15.10.2004

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Viren und Krebs
Entdeckungsgeschichte einer „unmöglichen“ Beziehung

Ein Huhn macht den Anfang
Die Entdeckung der Krebsviren

DNA-Piraten
Die Suche nach dem Mechanismus – erster Teil

Tumorviren ohne Infektion?
Auf der Suche nach dem Krebsgen

Der Innere Feind
Das Geheimnis der Onkogene

Krebs durch Viren auch beim Menschen?
HTLV-1 und der erste Beweis

Der Modellfall
HPV und Gebärmutterhalskrebs

Ein kleiner Schluck für einen Forscher…
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Glossar
Begriffe rund um Viren, Krebs und Gene

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