Anzeige
Phänomene

Die Krankheit auf der Zunge

Wie sich Leiden in der Stimme zeigen

Weil die Stimme so viel verrät, ist sie auch für Ärzte interessant: Ihr Klang kann Hinweise auf Erkrankungen geben. Schon der griechische Arzt Hippokrates stellte seinerzeit fest, dass sich die Stimme durch gesundheitliche Probleme oder Krankheiten verändert. Bei einer verstopften Nase oder Halsentzündung ist dies ebenso offensichtlich wie bei einem Kehlkopf-Tumor. Doch sogar neurodegenerative Erkrankungen und psychische Störungen lassen sich aus der Stimme heraushören.

Stimmanalyse beim Arzt
Manchen Krankheiten können Ärzte mithilfe von Stimmanalysen auf die Spur kommen. © Adam Höglund/ iStock.com

Wie klingt Parkinson?

Bei Parkinson wird die Stimme zum Beispiel schon in einem frühen Stadium leiser und monotoner, da sich die Erkrankung auch auf die beim Sprechen beteiligte Feinmuskulatur auswirkt. Auch ein subtiles Zittern in der Stimme kann ein Vorbote von Parkinson sein. In fortgeschrittenen Krankheitsstadien wird die Aussprache der Betroffenen dann zunehmend unsauber, abgehackt und „verwaschen“.

Ähnlich charakteristische Merkmale haben Mediziner inzwischen unter anderem für Alzheimer, Autismus, ADHS und Depressionen identifiziert. So sprechen ADHS-Patienten häufig lebendig und unrhythmisch. Betrachtet man einzelne Laute auf der Mikroebene, fällt zugleich jedoch etwas anderes auf: Die Stimme variiert in bestimmten Frequenzbereichen viel weniger als bei Gesunden. Typisch für depressive Menschen ist dagegen, dass sie sich langsam, gleichförmig und mit einer geringen Intensität in der Stimme artikulieren. Außerdem machen sie beim Sprechen viele Pausen.

Diagnose per Stimmanalyse

Für all diese Leiden gilt: Was im Gehirn schiefläuft, lässt sich an der Stimme messen. Der Zusammenhang ist dabei so deutlich, dass er eines Tages für verlässliche Diagnosen genutzt werden könnte. Informatiker arbeiten schon heute an Computerprogrammen, die Krankheiten allein anhand der Stimme erkennen. Die Systeme werden dafür mit Stimmproben bereits diagnostizierter Patienten trainiert und lernen so, welche stimmlichen Eigenschaften typisch für die jeweilige Erkrankung sind.

Allerdings sind nicht nur sich anbahnende oder vorhandene Krankheiten in der Stimme zu hören. Wie der Arzt und Experte für Phoniatrie Horst Gundermann einmal geschrieben hat, zeigen sich auch vergangene Leiden in ihr: „Stimme ist eine lauthafte Biografie. Sie erleidet mit uns Verwundungen, Kränkungen, Zurücksetzungen, die ihre Narben im Ausdruck hinterlassen.“

Anzeige

Stimmveränderung mit Folgen

Mitunter haben diese „Narben“ wiederum Einfluss darauf, wie wir auf andere Menschen wirken. Das haben Forscher am Beispiel des italienischen Politikers Umberto Bossi gezeigt: Nachdem dieser einen Hirnschlag erlitten hatte, schätzten ihn Wähler plötzlich vermehrt als gutmütig ein – vorher hatten sie ihn dagegen als dominant und autoritär wahrgenommen.

Bossi vertrat nach dem medizinischen Vorfall weder andere Inhalte als vorher, noch hatte er sich äußerlich verändert. Der einzige Unterschied ließ sich in seiner Stimme ausmachen. Sie besaß nur noch wenig Tonmodulation, sodass die Sprachmelodie eher flach wirkte. Schon diese kleine Veränderung reichte aus, um Bossis Außenwirkung drastisch zu wandeln.

  1. zurück
  2. |
  3. 1
  4. |
  5. 2
  6. |
  7. 3
  8. |
  9. 4
  10. |
  11. 5
  12. |
  13. weiter
Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Unsere Stimme
Machtvolles und verräterisches Körperinstrument

Tönende Luft
Wie und wo die Stimme entsteht

Die Seele spricht mit
Was die Stimme preisgibt

Die Krankheit auf der Zunge
Wie sich Leiden in der Stimme zeigen

Sprechende Maschinen
Was synthetische Stimmen menschlich macht

Diaschauen zum Thema

News zum Thema

keine News verknüpft

Dossiers zum Thema