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Geologie/physische Geographie

Die Anasazi und ein Missing Link

Dendrochronologie - Die Geburt, Teil I

Eines Tages erhält Douglass die Anfrage eines Archäologen, der die rätselhaften Felsenwohnungen indianischer Ureinwohner im Südwesten der USA erforscht. Er möchte wissen, ob Douglass mit seiner Jahrring-Methode herausfinden könne, wann die Pueblos in den Felsen entstanden sind. Denn nichts zermürbt die Archäologen zu dieser Zeit mehr, als die Unkenntnis über das Alter der Siedlungen, die von den Anasazi, dem „alten Volk“, vor langer Zeit aufgegeben worden waren.

Nachdem man erst wenige Jahrzehnte zuvor Überbleibsel der indianischen Kultur entdeckt hatte, entwickelt sich das Gebiet der „Four Corners“ am Vierländereck der US-Staaten Utah, Colorado, Arizona und New Mexico zur archäologischen Sensation. In einem unwirtlichen Gebiet von über 400.000 Quadratkilometern kommen nach und nach mehr als 4.000 Wohnstätten zum Vorschein. Bis zu 2.600 Meter hohe Plateaus erheben sich hier zwischen ausgedehnten Wüstenbecken. Mehrere hundert Meter tiefe Canyons durchziehen die Berge, dazu im Sommer Hitze, im Winter Kälte und manchmal mehrere Jahre Trockenheit.

Die Archäologen vermuten, dass die Anasazi die Plateaus trotz extremer Bedingungen jahrhundertelang besiedelten und von Getreideanbau, Viehzucht und Töpferei lebten. Irgendwann müssen sie ihre Dörfer aufgegeben haben und in die Canyons gezogen sein, wo sie ganze Siedlungen in die steilen Sandsteinwände meißelten, die so genannten „Cliff Dwellings“. Doch auch die kunstvoll gebauten Felsenwohnungen, die sich wie Schwalbennester in Überhänge und Felsspalten pressen und nur mühsam über Leitern zu erreichen sind, wurden wieder verlassen.

Warum die Anasazi ihre alten Dörfer aufgaben und stattdessen in die Felsenwohnungen zogen, weshalb sie auch diese nach kurzer Zeit wieder verließen, wohin sie dann endgültig verschwanden und vor allem wann sich das alles abspielte, bleibt den Archäologen ein Rätsel.

Holzbalken in Anasazi-Häusern © Mesa Verde National Park

In ihrer Ratlosigkeit setzen sie auf Andrew Ellicott Douglass, den Astronomen, der sich seit nunmehr zwanzig Jahren mit dem Zählen von Baumringen befasst. Die meisten Häuser der Anasazi haben Stützbalken aus Holz, allein in Pueblo Bonito, einem der Zentren der Indianer, wurden mehr als 20.000 Baumstämme verarbeitet. Wenn sich Alter und Fälldatum der Holzbalken aus den Häusern bestimmen ließen, könnte man daraus auf das Baujahr der Siedlungen schließen und die Geschichte der Anasazi rekonstruieren, hoffen die Archäologen.

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Douglass zögert zunächst, kann er sich doch nicht vorstellen, dass das verwitterte Holz aus den Lehmbauten ausreicht, um verlässliche Daten zu erhalten. Doch auch er ist neugierig und nimmt erste Holzproben unter die Lupe. Wie erwartet, erweist sich die Arbeit als überaus schwierig, denn meist stehen ihm nur verkohlte Holzreste zur Verfügung. Doch Douglass entwickelt ein Verfahren zur Konservierung der Holzkohle und ein geübtes Auge, um die Baumringe zu identifizieren.

1929 hat er zwei Jahrringreihen vorliegen, die er aus Proben des gesamten Anasazi-Gebiets zusammengesetzt hat. Die erste Sequenz beginnt mit den Jahrringen noch wachsender Bäume aus Flagstaff und reicht lückenlos bis ins Jahr 1260 zurück. Die zweite Sequenz bezeichnet Douglass als „relative Chronologie“. Sie ist 585 Jahre lang und muss älter als die erste Reihe sein, wie die Archäologen aus den Tongefäßen schließen, die in der Nähe des Holzes gefunden wurden. Zwischen beiden Sequenzen klafft eine Lücke von unbekannter Länge. Alle Bemühungen richten sich jetzt auf die Suche nach dem Missing Link, dem fehlenden Bindeglied.

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Stand: 05.11.2004

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Dendrochronologie
Der Baum-Code

Eine Sackgasse wird zur Pole-Position
Die Entdeckung der Baumringe als Klimaarchiv

Die Anasazi und ein Missing Link
Dendrochronologie - Die Geburt, Teil I

HH-39 – Der „Stein von Rosetta“ Nordamerikas
Dendrochronologie - Die Geburt, Teil II

Crossdating, ein unendliches Puzzle
Das Grundprinzip der Dendrochronologie

Ringzauber
Wie Bäume wachsen

Von Hochwässern, Lawinen und Buschfeuern
Baumringe als Datenspeicher

Der älteste Kalender der Welt
Der Hohenheimer Jahrringkalender

Der Methusalem unter den Bäumen
Die kalifornische Borstenkiefer

… Kontrolle ist besser
Baumringe als Eichmaß für die C14-Datierung

Wiederauferstehung eines Ur-Waldes
Der späteiszeitliche Paläowald Reichwalde

„Ein breiter Ring kann heißen ‚warm’, ‚kalt’ oder ‚kalt und Regen’“
Interview mit Ilse Boeren, Teil I

„Den Wäldern in Sibirien ähnlich“
Interview mit Ilse Boeren, Teil II

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