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Evolution

Der „Hobbitmensch“

Gibt es Zwergwuchs auch beim Menschen?

Der Zwergwuchs im Tierreich ist unter anderem aufgrund von knappem Nahrungsvorkommen auf Inseln evolutiv vorteilhaft. Denn wer klein ist, spart Energie. Doch gibt es diese Form der Anpassung auch beim Menschen? Fossilienfunde unserer Vorfahren deuten auf die Existenz kleinwüchsiger Inselbewohner hin. Ob es sich dabei um eine eigene Art handelt, ist umstritten.

Auf der indonesischen Insel Flores wurden im Jahr 2003 bei Ausgrabungen in der Höhle Liang Bua etwa 18.000 Jahre alte Fossilien entdeckt, die auf die Existenz eines besonders kleinwüchsigen Frühmenschen hindeuten. Bei dem Fund handelte es sich um eine etwa ein Meter große Frau mit einem Gehirn von der Größe eines Schimpansengehirns. Nach ihrem Fundort wurde dieser neuentdeckte zwergwüchsige Menschentyp Homo floresiensis getauft.

Rätsel um Kleinwüchsigkeit

Höhle
Bei Ausgrabungen in der Höhle konnten Skelettteile der kleingewachsenen Menschen gefunden werden. © Rosino /CC-by-sa 2.0

Seither haben Forscher in der gleichen Höhle weitere Skelettteile und Knochen von insgesamt neun Individuen dieser „Hobbitmenschen“ gefunden, die ähnlich kleinwüchsig waren. Auch Steinwerkzeuge konnten geborgen werden.

Seit der Entdeckung des ersten Homo floresiensis streiten Wissenschaftler darüber, wie der Fund in den Stammbaum der Menschheit einzusortieren ist. Handelt es sich um fehlgebildeten Vertreter des Homo sapiens – des anatomisch modernen Menschen? Oder waren die „Hobbitmenschen“ Vertreter einer heute ausgestorbenen Frühmenschenart?

Eine Krankheit oder doch ein Gendefekt?

Die erste Hypothese, die aufgestellt wurde, sollte das Mysterium um das kleine Gehirn des Menschenfunds klären. Die Paläoanthropologen Alfred Czarnetzki und Carsten Pusch von der Universität Tübingen verglichen 2005 die Gehirngröße des Homo floresiensis mit Gehirnen von modernen Menschen, die an Mikrozephalie litten. Bei dieser Krankheit entwickelt sich das Gehirn nicht richtig, die Menschen haben sehr kleine Köpfe und erreichen nur geringe Körperlängen.

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Der Vergleich ergab große Übereinstimmungen, so dass die Forscher es für möglich halten, dass die kleine Frau von Flores unter Mikrozephalie litt. Jedoch konnten die Tübinger Forscher nicht erklären, woher die gefundenen Steinwerkzeuge kommen könnten. Nach eigenen Angaben sei es für Menschen, die unter Mikrozephalie leiden, unmöglich, Werkzeuge wie diese herzustellen und zu benutzen.

Robert Martin vom Field Museum in Chicago und Kollegen bestätigten anhand ihrer anatomischen Analysen diese Vermutung. Ihren Ergebnissen nach zeigt das Skelett viele Merkmale des Mikrozephalie-Syndroms, von dem es beim modernen Menschen mehr als 400 verschiedene Formen gibt. Dieser Gendefekt werde in einer kleinen Population von Generation zu Generation schnell weitervererbt. Jedoch reichen die Daten nicht aus, um die schwerere Kleinwüchsigkeit einem spezifischen Syndrom zuzuordnen, so Martin. Also bleibt auch diese Hypothese vorerst nur eine Vermutung: Aufgrund der fehlenden DNA-Proben gibt es keine wissenschaftlichen Beweise.

So folgten weitere Vermutungen: 2008 stellten Forscher der Friedrich-Alexander- Universität Erlangen-Nürnberg eine neue Hypothese auf. Sie gehen davon aus, dass sich der Zwergwuchs auf Flores durch einen Gendefekt entwickelt haben könnte. Dieser habe dafür gesorgt, dass die Menschen mit einem kleinwüchsigen Körper- und Knochenbau lebten.

Ein kleiner Frühzeitmensch?

Der Menschenfund blieb weiterhin interessant: Wissenschaftler weltweit arbeiteten an möglichen Erklärungen für die Kleinwüchsigkeit des Homo floresiensis. Mehr Klarheit lieferte schließlich die Entdeckung neuer Menschenfossilien in Mata Menge, rund 70 Kilometer östlich des Fundorts der „Hobbitmenschen“. Gerrit van den Bergh von der University of Wollogong und ihre Kollegen stießen in dieser Kalksteinhöhle auf den Teil eines Unterkiefers und sechs einzelne Zähne, die eindeutig von Frühmenschen stammten.

„Diese Fossilien sind unbestreitbar hominin und denen des Homo floresiensis bemerkenswert ähnlich“, erklärt Koautor Yousuke Kaifu vom Nationalen Naturkundemuseum in Tokio. Die Relikte besitzen zahlreiche Merkmale, die sich auch beim Homo erectus, einem Vorfahren des modernen Menschen, und dem Homo floresiensis finden, allerdings seien die Funde noch einmal bis zu 20 Prozent kleiner als die der Hobbitmenschen.

Die neuen Funde könnten nach Angaben der Wissenschaftler von Menschen stammen, die vor rund 700.000 Jahren Flores besiedelten. Sie waren ähnlich zwergenhaft wie der Homo floresiensis und glichen zumindest in ihren Zahnmerkmalen sowohl diesem als auch dem viel größeren Homo erectus. Sie könnten daher eine Art Bindeglied in der Entwicklung der rätselhaften „Hobbitmenschen“ darstellen. Um das endgültig zu belegen, müssten aber weitere Teile von Schädel und Skelett dieser Menschenform gefunden werden.

Rätsel um die Abstammung

Nach Ansicht der Forscher könnten die neuen Fossilien aber die Theorie stützen, dass der Homo floresiensis sich einst aus dem Homo erectus entwickelte. Dafür sprechen Gemeinsamkeiten mit Relikten des Homo erectus aus dieser Region: Insbesondere das kleine Gehirn des Homo floresiensis, aber auch weitere Körpermerkmale legen nahe, dass es sich bei dem Fund um besonders kleine Vertreter einer Frühmenschenart handeln könnte. Denn beim Homo erectus blieb dem Gehirn nur wenig Zeit zum Wachsen. Es hatte die Größe wie die der heute lebenden Schimpansen.

Zusätzlich wissen Forscher, dass der Homo erectus bis vor mindestens 30.000 Jahren im Gebiet Indonesiens überlebt hat. Die ältesten Funde des Homo erectus in der Nähe der indonesischen Insel sind 1,2 Millionen Jahre alt. Spekulationen zufolge könnten die Steinwerkzeuge, die in der Höhle gefunden wurden, ein Hinweis auf die Präsenz dieses Vormenschen sein. Das Werkzeug sei rund eine Millionen Jahre alt.

Für die Forscher ergibt sich damit eine mögliche Einordnung der Hobbitmenschen in den menschlichen Stammbaum: Einige Vertreter des Homo erectus strandeten zu dieser Zeit womöglich auf der Insel Flores und lebten dann dort. Im Laufe der Zeit wurden sie immer kleiner, weil es evolutiv gesehen eine Anpassung war. Aus dem Homo erectus wurde so der Homo floresiensis. Ob die Hinweise aber ausreichen, um die Artentstehung zu belegen, ist fraglich. Eine so rasante Entwicklung der Körpergröße wie diese sei den Forschern bei Primaten bisher nicht bekannt

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Zwerge und Riesen auf Inseln
Dem Phänomen der Inselverzwergung auf der Spur

Die Inseln der Zwerge
Wo finden wir dieses Phänomen?

Ans Umfeld angepasst
Mögliche Ursachen von Verzwergung

Der „Hobbitmensch“
Gibt es Zwergwuchs auch beim Menschen?

Wer war der Homo floresiensis?
Dem Stammbaum der "Hobbits" auf der Spur

Das umgekehrte Phänomen
Die Giganten der Inseln

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