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Medizin

Der fatale Transfer

Genübertragung aus Resistenz-Reservoiren

Durchschnittlich 1,5 Kilogramm Bakterien tragen wir zu jedem beliebigen Zeitpunkt mit uns herum, ihre Zellzahl übersteigt die unseres Körpers bei weitem. Die meisten dieser „Untermieter“ sind für uns harmlos. Doch sie können zu einer tickenden Zeitbombe werden – wenn auch sie Antibiotika-Resistenzen entwickeln.

Milchsäurebakterien © USDA

„Es ist wichtig sich darüber klar zu werden, dass bei jeder Behandlung nicht nur die krankheitsauslösenden Keime, sondern auch die gesamte normale Flora dem Antibiotikum ausgesetzt wird“, erklärt der finnische Bakterienexperte Pentti Huovinen. Folglich wirkt auch bei ihnen die Selektion und fördert das Überleben resistenter Individuen. „Diese fungieren dann als Reservoir für die Resistenz. Solange man nicht spezifisch danach sucht, bleibt dieses Reservoir unbemerkt.“

Gentransfer über Artgrenzen hinweg

Problematisch wird es erst, wenn diese Bakterien eine weitere ihrer Eigenheiten ausspielen: Sie können sehr leicht untereinander und auch über Artgrenzen hinweg Gene austauschen und damit auch Resistenzen auf gefährliche Krankheitserreger übertragen. Am häufigsten geschieht dieser so genannte horizontale Gentransfer durch die Konjugation, bei der sich zwei Zellen zusammenlagern und über eine Plasmabrücke ein ringförmiges DNA-Stück, das so genannte Plasmid, transferieren. Liegt das Resistenzgen auf diesem Plasmid, hat damit auch dieses die Zelle und möglicherweise die Bakterienart gewechselt.

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Dan Anderson, medizinischer Mikrobiologe der Universität von Uppsala, berichtet in einem Fachartikel von einer Studie an Patienten mit Magengeschwüren, die eine Woche lang Antibiotika gegen Helicobacter pylori erhielten. „Auch die Enterokokken, die ein Teil der normalen Mikroflora des Darms sind, entwickelten dabei hohe Resistenzniveaus“, erklärt er. „Das Wichtige daran: Diese resistenten Enterokokken blieben bis zu drei Jahre nach der Behandlung noch im Darm der Patienten nachweisbar.“ Kommen sie innerhalb dieser Zeit mit eingedrungenen Krankheitserregern in Berührung, können diese sich durch Gentransfer die Resistenz aneignen.

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Auf dem Weg zur Multiresistenz

Tragen die Erreger bereits eine Resistenz in sich, sind sie danach unter Umständen gleich gegen zwei Mittel immun – und damit auf bestem Wege, sich zum multiresistenten Stamm zu entwickeln. Besonders gute Chancen dazu haben die Bakterien überall dort, wo viele kranke und intensiv mit Antibiotika behandelte Menschen auf engstem Raum zusammentreffen – wie beispielsweise auf den Intensivstationen der Krankenhäuser oder in Pflegestationen. Nach Schätzungen der CDC sind heute bereits rund 70 Prozent der in amerikanischen Krankenhäusern erworbenen infektiösen Keime resistent gegen mindestens einen Wirkstoff, die meisten von ihnen gleich gegen mehrere.

Resistenzen in Wasser, Boden und Nahrung

Ein reichhaltiges Reservoir an Resistenzen finden Krankheitserreger mittlerweile jedoch nicht nur im Menschen, sondern auch in Wasser, Böden und Tieren. Eine der Hauptursachen dafür ist der Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft. In der EU seit 2006 verboten, werden in anderen Ländern antimikrobielle Mittel noch immer als so genannte Mastbeschleuniger in der Tierzucht eingesetzt. Sie sollen dafür sorgen, dass die Tiere schneller wachsen und früher schlachtreif sind. In den USA gehen 60 Prozent der gesamten jährlichen Antibiotikaproduktion auf das Konto solcher nicht-therapeutischer Nutzungen.

„Antibiotika finden sich bei uns in Rindern, Schweinen und Geflügel“, erklärt der amerikanische Bakteriologe Kenneth Todar. „Die gleichen Antibiotika fließen dann in die öffentlichen Wasserversorgungssysteme, wenn Sickerwasser aus Ställen und von Weiden Grundwasser und Flüsse kontaminiert. Das ist dann gleich ein doppelter Treffer: Wir nehmen Antibiotika in unserer Nahrung und im Trinkwaser auf und sorgen gleichzeitig selbst für die Ausbreitung von Resistenzen.“

Dies ist umso alarmierender, als dass erst vor kurzem eine Studie amerikanischer Forscher belegt hat, dass gerade niedrige Dosen von Antibiotika auf Bakterien der Arten Escherichia coli und Staphyolococcus aureus mutationsfördernd wirken. Die von den Mitteln freigesetzten starken Oxidantien lösten DNA-Veränderungen aus, die im Laborversuch zu neuen Resistenzen gegen andere Antibiotika führten.

Staphylococcus aureus findet sich auch bei Tieren, bei Kühen löst er Euterentzündungen aus. © USDA

Gensprung von Tier zu Mensch

Chinesische Bakteriologen haben zudem herausgefunden, dass Resistenzgene auch direkt zwischen tierischen und menschliche Bakterienpopulationen ausgetauscht werden können. In ihrer im Mai 2010 im „Journal of Medical Microbiology“ veröffentlichten Studie hatten sie Fäkalien von Menschen und von zur Fleischproduktion gehaltenen Tieren auf ein Gen des Darmkeims Escherichia coli hin analysiert. Das gegen das Antibiotikum Gentamicin immunisierende Gen fand sich bei 80 Prozent der Proben sowohl der Tiere als auch der Menschen.

„Diese Resistenzgene springen wahrscheinlich über die Nahrungskette, durch direkten Kontakt mit den Tieren oder durch kontaminiertes Wasser auf den Darm des Menschen über“, erklärt Pak-Leung Ho von der Universität Hongkong. Manifestiert sich diese Resistenz zukünftig nicht nur in E.coli, sondern auch in gefährlicheren, bereits mehrfach resistenten Keimen, wird dies zur echten Bedrohung. Denn das in der Veterinärmedizin sehr beliebte Gentamicin wird in der Humanmedizin heute vor allem als Notfallantibiotikum eingesetzt – als letzte Hoffnung, wenn andere Mittel versagen. Es gilt beispielsweise als Mittel der Wahl bei schweren Krankenhausinfektionen und gegen multiresistente Tuberkulosebakterien.

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Nadja Podbregar
Stand: 17.09.2010

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

„Super-Keime“ auf dem Vormarsch
Droht das Ende der Antibiotika?

Eine neue Ära
Der Siegeszug der Antibiotika

Tod trotz Antibiotika
Der Fall Bridi da Costa

Nur eine Frage der Selektion…
Die Ursachen der Resistenz

Der fatale Transfer
Genübertragung aus Resistenz-Reservoiren

Die Resistenztricks der Keime
Kampf um Zellwand und Proteine

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