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Phänomene

Der Blauwal unter den Bakterien

Zur Entdeckung von Thiomargarita namibiensis

Riesenbakterien im Größenvergleich mit einer Fliege © Heide Schulz, MPI Bremen

Wer denkt, alle Bakterien sind winzigklein und unsichtbar, der irrt. Mit einem Zelldurchmesser von bis zu 0,75 Millimetern ist Thiomargarita namibiensis die wohl größte Bakterie der Welt. Weißschimmernd ist die namibische Schwefelperle, so die Übersetzung ihres lateinischen Namens, in dem grün-bräunlichen Diatomeenschlamm am Meeresgrund vor der Küste Namibias schon mit bloßem Auge deutlich zu erkennen. Warum also wurde diese auffällige Kuriosität in der Bakterienwelt erst 1997 entdeckt?

Gibt es Riesenbakterien?

Mikrobiologen hielten es bis dahin schlichtweg für unmöglich, dass eine Bakterie mit diesen Ausmaßen überhaupt existieren könnte. Denn die meisten Mikroben sind aus gutem Grund nur wenige tausendstel Millimeter groß. Sie können aus ihrer wässrigen Umwelt Nahrung nur in Form von gelösten Substanzen durch passive Diffusion aufnehmen. Wird die Bakterienzelle zu groß, verlangsamt sich die Aufnahme. Ohne ein internes Transportsystem wird die gleichmäßige Nahrungsverteilung in der Zelle schwierig. Auf Dauer würden große Bakterien daher „verhungern“.

Kein Wunder also, dass die damalige Doktorandin Heide Schulz von ihren Kollegen am Bremer Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie zunächst nicht ernst genommen wurde, als sie bei den bis dato unbekannten, weißen Kügelchen von nitratspeichernden Schwefelbakterien sprach. Doch diese sind gerade wegen ihrer Größe und einem einzigartigen Zellaufbau optimal an ihren Lebensraum angepasst.

Schwefel und Nitrat

Wie auf einer Perlenkette aneinandergereiht, werden bis zu 30 meist kugelförmige Thiomargarita-Zellen von einer farblosen Schleimhülle zusammengehalten. Dabei stellt jede Zelle ein Bakterium dar. Die lebenserhaltende Energie gewinnt Thiomargarita namibiensis durch einen chemischen Prozess, indem sie Nitrat mit Sulfid zu Ammonium „veratmet“. Ungefähr so, wie wir Menschen organisches Material aus der Pflanzen- oder Tierwelt mit Sauerstoff verbrennen um Energie zu gewinnen.

Thiomargarita namibiensis © Heide Schulz, MPI Bremen

Doch genau die gleichzeitige Verfügbarkeit der Nährstoffe in Form von Sulfid aus dem Sediment und Nitrat aus der darüber liegenden, sauerstofffreien Wassersäule ist ein Problem. Denn die unbeweglichen Bakterienketten sind den hydrographischen Ereignissen, den „Wetter“ am Meeresgrund widerstandslos ausgeliefert.

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Untermeerische Stürme, aus dem Boden aufsteigende Methanblasen oder ein nur vorbeischwimmender Fisch wirbeln den weichen Diatomeenschlamm am Meeresboden immer wieder auf und begraben die Bakterienzellen unter einer zentimeterdicken Schicht. Der direkte Zugang zum darüber liegenden Nitrat wird den Bakterien solange verbaut, bis das Sediment ein Weiteres mal aufgewühlt wird und die namibische Schwefelperle wieder obenauf liegt – und das kann dauern.

Der Speichertrick

Aber Thiomargarita namibiensis hat für einen solchen Notfall vorgesorgt. Unter günstigen Umweltbedingungen speichern die Bakterien in einer großen, kugelförmigen Vakuole Nitrat. Dabei wird das Nitrat gegenüber dem umliegenden Milieu um das bis zu 4.000fache der Nitratmenge aufkonzentriert und gelagert. Die Vakuole im Zellinnern ist dabei nichts anderes als ein wassergefüllter Ballon. Sauerstoff wäre hierbei als Atmungsmittel ungeeignet, da es als Gas unvermeidbar entweichen würde.

Während Bakterienketten im Sediment verschüttet von ihren Nitratreserven leben, steht ihnen das im Meeresboden unter sauerstofffreien Bedingungen von anderen Mikroben produzierte Sulfid im Überfluss zur Verfügung. Diese Komponente wird in der äußeren Zytoplasmaschicht in Form von Schwefeleinschlüssen ebenfalls gespeichert und verleiht den Bakterien ihre charakteristisch weiße Färbung. Der Schwefelspeicher hat aber auch für höhere Organismen eine große Bedeutung, denn unter natürlichen Bedingungen wird Sulfid in Verbindung mit Wasser zu dem für die meisten Lebewesen hochgiftigen Schwefelwasserstoff umgewandelt. Ohne Thiomargarita-Barriere kann dieser zu einer tödlichen Falle für die marine Tierwelt werden.

Das Thiomargarita namibiensis durch ihre beiden Nahrungsspeicher selbst unter ungünstigsten Bedingungen ungewöhnlich lange überleben kann, wurde den Wissenschaftlern um Heide Schulz klar, als sie bereits gelagerte Sedimentproben früherer Expeditionen noch einmal gründlicher unter die Lupe nahmen. Denn tatsächlich fanden sie lebende Bakterien in den mehrere Jahre alten, unberührten Probengefäßen. Nur hatten sie Thiomargarita namibiensis damals schlichtweg übersehen.

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Stand: 14.07.2003

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

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