Anzeige
Astronomie/Kosmologie

Das Rätsel der fehlenden Linien

Täuscht aufgeheiztes Gas die fehlende Materie nur vor?

Warum zeigen Spektren von jungen Gasfilamenten so viel weniger typische Lyman-Alpha-Linien als diejenigen aus der kosmischen Frühzeit? Die Linien entstehen durch die Absorption des Lichts ferner Quasare durch normale Materie – im Fall der Gasfilamente vor allem neutralem Wasserstoff. Fehlen die Linien, bedeutet dies theoretisch, dass die Filamente heute auch weniger Wasserstoffgas enthalten. Wo aber ist diese Materie inzwischen hin?

Rekonstruierte Verteilung der Gasfilamente im frühen Universum. Forscher entwickelten diese Simulation auf Basis von Beobachtungen des Lyman-ALpha-Walds © J. Shalf, Y. Zhang (UIUC) et al., GCCC

Heißes Gas schluckt Linien

Auf die plausibelste Erklärung kamen Astronomen schon Ende der 1990er-Jahre mit Hilfe von kosmologischen Computersimulationen. In diesen hatten sie die Verteilung und die physikalischen Eigenschaften des intergalaktischen Mediums modelliert. Sie vermuteten, dass sich ein Teil des Gases infolge der fortschreitenden Strukturentwicklung aufheizte. Dadurch war mit wachsendem Alter des Universums immer weniger neutraler Wasserstoff in den Gasfilamenten enthalten. Denn durch die Aufheizung des Gases wird der Wasserstoff fast vollständig ionisiert. Das heißt: Fast alle Wasserstoffatome verlieren das einzige in ihnen gebundene Elektron.

Dies wiederum bedeutet, dass im Gas keine Elektronenbewegungen stattfinden können, die die Linien im Spektrum erzeugen. Die ionisierten Wasserstoffatome werden dadurch bei den geringen Teilchendichten im intergalaktischen Gas unsichtbar, das Gas wird fast zu 100 Prozent transparent. Demnach ist es also nicht das Gas, was verschwindet, sondern der neutrale Anteil des Gases, der das Licht absorbiert.

Woher erhält das Gas aber die Energie, um so heiß zu werden? Die zur Aufheizung und Ionisation des Wasserstoffs benötigte Energie stammt zumindest teilweise aus Schwerkraft-Wechselwirkungen im Gas selbst: Wenn sich das Gas in den kosmologischen Filamenten im Laufe der Zeit immer weiter zusammenballt, wird sogenannte gravitative Bindungsenergie frei. Sie sorgt dafür, dass die Filamente in eine neue sogenannte „warm-heiße“ intergalaktische Gasphase eintreten. Diese haben Astronomen zwar in Simulationen bereits modelliert, direkt nachweisen lässt sie sich aber bisher nicht so leicht.

  1. zurück
  2. |
  3. 1
  4. |
  5. 2
  6. |
  7. 3
  8. |
  9. 4
  10. |
  11. 5
  12. |
  13. 6
  14. |
  15. weiter

Philipp Richter /DFG-Forschung
Stand: 06.07.2012

Anzeige
Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Auf der Suche nach dem Urgas
Astrophysiker erforschen die kosmologischen Filamente

Am Anfang war der Wasserstoff
Gasfilamente als erste Strukturen des Kosmos

Linien in Hülle und Fülle
Kosmisches Gas und der Lyman-Alpha-Wald

Das Rätsel der fehlenden Linien
Täuscht aufgeheiztes Gas die fehlende Materie nur vor?

Hilft heißer Sauerstoff weiter?
Das Geheimnis der OVI-Linien

Verfälschung durch galaktische Winde
Die Suche nach geeigneten Messmethoden geht weiter

Diaschauen zum Thema

News zum Thema

Galaxienkollision stoppt Sternenbildung
Gasfilamente gaben entscheidende Hinweise auf Zusammenstoß zweier Riesengalaxien

Riesententakel halten kosmische Gasfäden zusammen
Weltraumteleskop löst Rätsel um Filamente in aktiver Galaxie

Dossiers zum Thema