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Forscher / Entdecker

Das Geheimnis der Tiegel

"Geheime Zutat" entpuppt sich als Hightech-Mineral

Schon vor 500 Jahren gehörten sie zur Grundausstattung jedes begüterten Alchemisten: hessische Tiegel. Denn diese praktischen Gefäße waren haltbarer und robuster als jedes andere Behältnis aus Glas, Metall oder Stein. Sie widerstanden hohen Temperaturen ebenso wie starken Säuren oder Laugen – und war daher für einige der Experimente nahezu unentbehrlich.

Unter Alchemisten waren Tiegel aus Hessen hochbegehrt - denn sie waren besonders widerstandsfähig. © Wellcome Trust Images /CC-by-sa 4.0

Begehrt in ganz Europa

Schon der englische Alchemist Thomas Norton beklagte sich 1477 darüber, dass in ganz England keine guten Tiegel produziert werden und man die Gefäße daher unter großem Aufwand aus dem Ausland beschaffe müsse. Tatsächlich belegen Ausgrabungen in ganz Europa und selbst in Nordamerika, dass die Tiegel aus Deutschland damals weithin exportiert wurden.

Doch was war das Geheimnis der unter Alchemisten so begehrten hessischen Tiegel? Die „geheime Zutat“ dieser Gefäße haben erst vor kurzem moderne Forscher entdeckt. Marcos Martinon-Torres vom University College London und seine Kollegen hatten für ihre Studie 50 hessische und normale Tiegel aus verschiedenen Ausgrabungen chemisch analysiert und verglichen.

Seltenes Mineral als geheime Zutat

Das überraschende Ergebnis: Die hessischen Tiegel enthielten eine bestimmte Zutat, das Aluminiumsilikat Mullit. „Dieses Material ist erst im 20. Jahrhundert erstmals beschrieben worden“, erklärt Martinon-Torres. „Doch wie sich jetzt zeigt, nutzten hessischen Tiegelmacher die Vorteile dieses speziellen Aluminiumsilikats bereits mehr als 400 Jahr früher.“

Das Mineral Mullit zeigt sich hier als feine weiße Fäden. © Leon Hupperichs/ CC-by-sa 3.0

Obwohl die Tiegelmacher des Mittelalters und der Renaissance dieses Silikat nicht kannten, hatten sie durch Versuch und Irrtum eine Herstellungsmethode entwickelt, die dieses stabile Material produzierte. Sie stellten ihre Tiegel aus kaolinhaltigem Lehm her und brannte diese bei Temperaturen von über 1.100 Grad. Unter diesen Bedingungen bildete sich das Mullit.

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„Ein Material, was wir bisher als modern und Hightech angesehen haben, entpuppt sich damit als schon seit Jahrhunderten genutzt“, sagt Ian Freestone von der Cardiff University. „Die alten Handwerker hatten zwar nur ein begrenztes wissenschaftliches Verständnis ihrer Produkte, dafür aber besaßen sie ein sehr erfolgreiches Rezept – und hielten es über Jahrhunderte geheim.“

Vom Tiegel zur Turbinen-Auskleidung

Den Alchemisten bescherten die Tiegelmacher damit eines der wichtigsten Hilfsmittel ihrer Zunft. Aber nicht nur ihnen: Ohne die Widerstandsfähigkeit dieser Gefäße gegenüber Hitze, Chemie und mechanischen Belastungen wären auch einige chemische Elemente wahrscheinlich erst sehr viel später entdeckt worden, wie die Forscher erklären.

Heute wird Mullit in einer Vielzahl von modernen Keramikwerkstoffen eingesetzt. Es steckt in Baustoffen, in optischen Materialien und Katalysatoren, in Hitzeschutzbeschichtungen und den Auskleidungen von Flugzeugturbinen und Gasturbinen von Kraftwerken.

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Nadja Podbregar
Stand: 20.05.2016

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Inhalt des Dossiers

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