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Medizin

Blutersatz ganz ohne Hämoglobin

Sauerstofftransport mit Perfluorcarbonen

Neben Kunstblut auf Basis von Hämoglobin gibt es noch einen zweiten Ansatz für die Versorgung von Organen und Geweben mit Sauerstoff. Dieser ist weder von der Natur abgeschaut noch versucht er, Blut oder Blutkörperchen nachzuahmen. Stattdessen bildet eine Stoffklasse die Grundlage, die auf den ersten Blick völlig abwegig erscheint: Perfluorcarbone (PFC) – Kettenmoleküle aus Kohlenstoff und Fluor.

Perfluorcarbon
Perfluorcarbone (unten) sind dichter als Wasser und nicht in ihm löslich, können aber viel Sauerstoff aufnehmen. © Steven B. Harris/ CC-by-sa 3.0

Ein kohlenstoffbasierter Sauerstofftransporter

Den Anstoß dafür gab ein Versuch, den der US-Biochemiker Leland Clark bereits in den 1960er Jahren durchführte: Er tauchte Nagetiere in einen Behälter mit flüssigem Perfluorcarbon – und sie überlebten. Dieser Versuch bewies, dass Säugetiere diese transparente Flüssigkeit statt Luft einatmen können und trotzdem überleben. Clarks Experiment war der Impulsgeber für eine jahrzehntelange Forschung zur Flüssigkeitsbeatmung, aber auch für Versuche zu künstlichem Blut.

Perfluorcarbone sind deswegen dafür so geeignet, weil sie große Mengen an Sauerstoff aufnehmen können – mehr als Hämoglobin. Gleichzeitig besitzen sie eine geringe Oberflächenspannung und können daher beispielsweise Lungenbläschen gut benetzen, wodurch ein Sauerstoffaustausch möglich wird. Weil diese Moleküle zudem chemisch inert sind und nicht mit unseren Zellen oder Geweben reagieren, sind sie ungiftig.

Von der Flüssigbeatmung zum Kunstblut

Tatsächlich hat es bereits in den 1990er Jahren Versuche gegeben, frühgeborene Kinder mit einer Perfluorcarbon-Lösung zu beatmen. Weil bei ihnen die Lungen oft nicht fertig ausgebildet ist, sollte diese Flüssigkeitsbeatmung die zarten Lungenbläschen schonen und die Kinder so vor Lungenschäden bewahren. Allerdings ist die praktische Anwendung dieser Verfahren so kompliziert und gefahrenträchtig, dass dies inzwischen weitgehend aufgegeben wurde.

Doch es gibt noch eine andere Art der Anwendung von Perfluorcarbonen: als künstliches Blut. Weil sie nicht wasserlöslich sind, müssen die Kohlenstoffverbindungen dafür mit Emulgatoren und weitere Substanzen gemischt werden. Es entsteht eine Emulsion, in der die PFC winzige, rund 100 bis 200 Nanometer kleine Tröpfchen bilden – ähnlich den Lipidtröpfchen in der Milch. Diese Lösung kann dann über eine Infusion in die Vene verabreicht werden und so den Sauerstofftransport des Bluts unterstützen. Im Verlauf von 48 Stunden wird

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Perfluordecalin
Perfluordecalin war unter dem Namen Fluosol als erstes Perfluorcarbon-basiertes Kunstblut zugelassen. © gemeinfrei

Blutersatz aus Perfluorcarbon

Das weltweit erste und bislang einzige zur Behandlung von Menschen zugelassene Kunstblut aus Perfluorcarbonen war Fluosol. Dieses basiert auf der Fluorkohlenstoffverbindung Perfluordecalin (C10F18), die rund 50 Milliliter Sauerstoff pro 100 Milliliter PFC lösen kann. In den 1970er Jahren in Japan entwickelt, wurde Fluosol 1989 in den USA und acht weiteren Ländern zur Behandlung von Patienten mit Herzinfarkt zur Sauerstoffversorgung des Herzmuskels zugelassen.

Weil die Perfluorcarbon-Tröpfchen rund 50-mal kleiner sind als ein rotes Blutkörperchen, können sie in Blutgefäße vordringen, die für diese blockiert sind. Mit Sauerstoff beladen wird der Blutersatz ganz normal über die Atmung und Lunge, allerdings müssen die Patienten dafür zusätzlich reinen Sauerstoff zugeführt bekommen. Obwohl dieses Kunstblut seine Aufgabe erfüllte, löste es bei den Patienten häufig Immunreaktionen aus, die Fieber und Entzündungen verursachten – möglicherweise aufgrund der für die Emulsion nötigen Zusätze. Deswegen wurde Fluosol 1994 wieder vom Markt genommen.

Ein ganz ähnlicher, ebenfalls auf Perfluordecalin basierender Blutersatz, Perftoran, ist jedoch seit 1995 in Russland in Gebrauch. Anders als Fluosol nutzt er nicht das körpereigene Eiweiß Albumin als Emulgator, sondern ein synthetisches Molekül. Dies soll Immunreaktionen verhindern. In Russland soll Perftoran bereits bei rund 35.000 Patienten mit Blutverlust und verstopften Gefäßen eingesetzt worden sein. In den USA plant ein Unternehmen zurzeit, eine neue Variante des Perftorans unter dem Namen Vidaphor auf den Markt zu bringen.

Dank der Fortschritte in der Nanotechnologie sind inzwischen auch weitere Perfluorcarbon-Kunstblut-Präparate in der Entwicklung. Noch allerdings sind diese im Frühstadium oder haben gerade erst mit klinischen Studien begonnen. Von einem breit einsatzbaren und sicheren Blutersatz ist daher auch der Perfluorcarbon-Ansatz noch weit entfernt.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Auf der Suche nach künstlichem Blut
Warum Spenderblut so schwer zu ersetzen ist

Elixier des Lebens
Knappes Blut und tödliche Transfusionen

Hämoglobin
Ein Wundermolekül mit Schattenseiten

Blutfarbstoff als Kunstblut
Wie weit ist Blutersatz auf Hämoglobin-Basis?

Blutersatz ganz ohne Hämoglobin
Sauerstofftransport mit Perfluorcarbonen

Aus A positiv mach' Null negativ
Durch Umwandlung zum universellen Spenderblut

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