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Energie

Blackout durch die Energiewende?

Warum das Stromnetz auch ohne Kohle- und Atomstrom nicht kollabiert

Vor allem von Gegnern des Atom- und Kohleausstiegs wird ein Blackout gerne als nahezu unausweichliche Folge der Energiewende dargestellt. Demnach kommt es ohne die Pufferwirkung konventioneller Kraftwerke und mit zunehmender Einspeisung von schwankendem Wind- und Sonnenstrom zwangsläufig zu Überlastungen des Stromnetzes oder aber zum Strommangel, so das Argument. Doch was ist dran an diesem Schreckensszenario?

Generatoren
Die träge Schwungmasse der großen Kraftwerksgeneratoren dient als Frequenz-Stabilisator im Stromnetz. © BanksPhotos / Getty images

Die Bedeutung der Momentanreserve

Wahr ist, dass vor allem die Generatoren in Kern- und Kohlekraftwerken eine wichtige Rolle für die Stabilisierung der Frequenz im Stromnetz spielen. Diese Anlagen laufen synchron zur Sollfrequenz von 50 Hertz und können bei einem plötzlichen Anstieg des Strombedarfs oder einem Abfall der Stromproduktion den daraus resultierenden Abfall der Netzfrequenz kurzfristig abfangen. Fällt beispielsweise ein Kraftwerk plötzlich aus, reagieren seine tonnenschweren Generatoren nur langsam, sie drehen sich zunächst noch mit gleicher Geschwindigkeit weiter.

Die Massenträgheit aller ans Netzt angeschlossenen Kraftwerksgeneratoren bildet damit die sogenannte Momentanreserve für das Stromnetz. Sie gleicht kurze Schwankungen aus und verschafft den automatisierten Schutzmechanismen damit Zeit, um einzugreifen. Wenn nun aber Kohlekraftwerke und Atomkraftwerke vom Netz gehen, fehlt diese Momentanreserve. „Weniger konventionelle Kraftwerke im Netz bedeuten weniger Trägheit im System – die Versorgungssicherheit ist gefährdet, wenn dem nicht begegnet wird“, erklärt Boris Fischer vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE.

Windturbinen als Ersatz?

Doch das bedeutet nicht automatisch, dass mit der Energiewende auch die Momentanreserve wegfällt. So haben Fischer und sein Team vom IEE kürzlich festgestellt, dass sich auch die Generatoren von Windkraftanlagen als Momentanreserve eignen. Auch sie lassen sich so ans Stromnetz koppeln, dass ihre Massenträgheit als Frequenzpuffer wirkt. „Unser Forschungsprojekt zeigt ganz deutlich, dass dies auch in der Praxis möglich ist“, berichtet Fischer. „Die Minderung der Netzträgheit durch die vermehrte Einspeisung von Windenergieanlagen lässt sich in den allermeisten Situationen durch die Anlagen selbst ohne Probleme ausgleichen.“

Konkret funktioniert diese „windige“ Momentanreserve allerdings nur dann, wenn die Windanlagen so umgestellt werden, dass ihre Turbinen und Generatoren direkt mit dem Stromnetz gekoppelt sind – bisher ist dies oft nicht der Fall. Dafür müssen die Regelungsmodule für die Leistungselektronik an die neuen Aufgaben angepasst werden. Wenn dann die Frequenz im Stromnetz abrupt absinkt oder ansteigt, sorgt die Elektronik dafür, dass die Leistung der Windräder automatisch entsprechend angepasst wird. Weil viele Windanlagen den größten Teil der Zeit ohnehin nicht mit voller Leistung laufen, sind entsprechende Reserven meist verfügbar – sofern keine deutschlandweite Flaute herrscht.

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Windturbine
Auch die Generatoren von Windkraftanlagen können als Momentanreserve dienen. © ZU_09 / Getty images

Wie gut Windparks als Puffer funktionieren, haben Wissenschaftler von Siemens-Gamesa und Scottish Power Renewables im Jahr 2018 praktisch getestet. Dafür ließen sie einen schottischen Windpark mit 23 Windrädern und 69 Megawatt Leistung sechs Wochen lang immer wieder auf verschiedene kurzfristige Schwankungen der Netzfrequenz reagieren. Das Ergebnis: „Die Turbinen können eine stabile und angemessene Reaktion auf die heute typischen Frequenz-Ereignisse reagieren“, so die Forscher. Allerdings gibt es Grenzen: Bei totaler Flaute ist die Reaktionsfähigkeit der Windanlagen begrenzt, ebenso bei starken Frequenzschwankungen von mehr als einem Hertz.

Neue Puffer durch Stromspeicher und Power-to-X

Abhilfe schaffen könnten in solchen Fällen aber Superkondensatoren oder Batterien, die als vorübergehende Energiespeicher und Puffer an Solar- und Windparks installiert werden – gerade bei der Photovoltaik sind sie vielfach ohnehin schon Standard. Auf spezielle Großbatteriespeicher setzen viele kommunale Stromversorger und Unternehmen bereits: „Stationäre Batteriespeicher können am schnellsten auf Frequenzschwankungen reagieren“, erklärt Martin Robinius vom Forschungszentrum Jülich.

Auch die Erzeugung von Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen mithilfe von Wind- oder Solarstrom trägt dazu bei, das Stromnetz zu stabilisieren. Denn bei Stromüberschuss wandeln solche Power-to-X-Technologien die elektrische Energie der Wind- und Photovoltaikanlagen in die chemischen Energieträger um. Wird dann Strom benötigt, können Wasserstoff, Synthesegas oder Methanol wieder zur Erzeugung von Elektrizität eingesetzt werden. Ebenfalls als Puffer eignen sich Elektroautos – sofern sie antizyklisch geladen werden. Denkbar wäre beispielsweise ein automatisiertes System, das die Fahrzeuge von größeren Elektro-Fuhrparks durch angepasstes Laden und Entladen als Energiespeicher nutzt.

Energiewende erhöht das Risiko nicht…

Schon jetzt macht Strom aus Wind und Sonne bis zu 45 Prozent der deutschen Stromerzeugung aus – und bisher gibt es keinerlei Anzeichen für eine drohende Destabilisierung. Eher im Gegenteil: Seit 2017 ist die Dauer der Stromausfälle in Deutschland laut Bundesnetzagentur trotz steigender Anteile erneuerbarer Energien um rund fünf Minuten zurückgegangen. Auch auf lokaler Ebene gibt es ähnliche Erfahrungen. So berichtete Gerald Höfer von den Städtischen Werken Nürnberg gegenüber dem Bayrischen Rundfunk: „In den vergangenen Jahren haben wir in unserem Netzgebiet bereits fast 60.000 erneuerbare Anlagen integriert, dennoch konnten wir zuletzt unsere Ausfallzeiten sogar reduzieren.“

Insgesamt sehen die meisten Experten in der Energiewende keine Gefahr für die deutsche Stromversorgung oder die Stabilität der Stromnetze. „Dass der Umbau des Stromversorgungssystems auf Erneuerbare eine Herausforderung ist, ist klar. Wir sehen aber deutlich, dass der Ausbau der Erneuerbaren keine Beeinträchtigung der sicheren Stromversorgung nach sich zieht“, erklärte ein Sprecher der Bundesnetzagentur vor kurzem gegenüber ARDalpha. Das sieht auch die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung so: „Die Energieversorgungssicherheit ist auch mit einer Vollversorgung aus erneuerbaren Energien gesichert“, betont sie.

…der Stromhandel und Transport aber schon

Eine deutlich größere Belastung für das deutsche Stromnetz ist nach Einschätzung der Experten der vermehrte Stromhandel innerhalb Europas. Weil dadurch mehr Strom über weite Strecken transportiert werden muss, werden Ungleichgewichte und Schwankungen der Netzfrequenz wahrscheinlicher – auch weil die Höchstspannungsleitungen und Umspannstationen noch nicht überall an diese erhöhte Last angepasst sind. Auch in Deutschland müssen die Nord-Süd-Verbindungen noch stärker ausgebaut werden. Bisher führen jedoch lokale Proteste, aber auch Hindernisse in der regionalen Politik immer wieder zu Verzögerungen.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Der große Blackout
Wie real ist die Gefahr eines großen Stromausfalls?

Was wäre wenn?
Die Folgen eines großflächigen Stromausfalls

Fortschreitender Zerfall
Wenn ein Blackout länger anhält

Realistisches Risiko?
Wie wahrscheinlich ist ein großer Blackout in Deutschland?

Die Bewährungsprobe
Wie die Schutzmechanismen gegen Blackouts funktionieren

Stresstest für das deutsche Stromnetz
Wie groß ist das Risiko im kommenden Winter?

Blackout durch die Energiewende?
Warum das Stromnetz auch ohne Kohle- und Atomstrom nicht kollabiert

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