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Forschung

Alternativen zu Tierversuchen

Zellkulturen, Computermodelle und bildgebende Verfahren

Die meisten Menschen bewerten ihre Gesundheit grundsätzlich höher als den Schutz anderer Lebewesen. Die Leiden, die Tieren bei manchmal aussagelosen Tierversuchen erfahren, könnten aber mittlerweile weitgehend vermieden werden, da es heutzutage moderne Alternativen gibt. Diese tierversuchsfreien Methoden sind nicht nur ethisch besser vertretbar, sondern oft auch schneller sowie kostengünstiger und liefern in manchen Bereichen mindestens genauso aussagekräftige Ergebnisse.

Microdosing

Seit einigen Jahren wird beispielsweise das sogenannte Microdosing zur Arzneimittelforschung durchgeführt. Statt für Tests Tiere zu nutzen, bekommen hierbei freiwillige Testpersonen eine extrem kleine, etwa ein Hundertstel der angenommenen therapeutisch wirksamen Dosis eines potenziellen Medikamentes verabreicht.

Die Körperreaktionen auf den Wirkstoff werden schließlich mit hochempfindlichen Methoden wie der sogenannten Accelerator-Massenspektrometrie (AMS) in den Blut- und Urinproben der Probanden untersucht. So beobachten Forscher zum Beispiel, ob der Stoff zu giftigen Abbauprodukten verstoffwechselt wird, ob er das Organ erreicht und dort wirkt oder auch, ob er sich anreichert und nicht oder zu früh ausgeschieden wird.

Damit deckt das Microdosing allerdings nur die Pharmakokinetik ab, also die Verteilung und Verstoffwechselung des Arzneimittels im Körper. Zur Überprüfung der Sicherheit und Wirksamkeit eines neuen Wirkstoffes müssen andere tierversuchsfreie Methoden herangezogen werden.

Zellen aus dem Reagenzglas

Organoid
Aus Stammzellen lassen sich zum Beispiel Darmorganoiden kultivieren. © Meritxell Huch/PLoS Biol 13(5): e1002149, CC-by-sa 4.0

Ein weiteres, sehr verbreitetes tierversuchsfreies Verfahren ist es, Zellen und Gewebe des Menschen in-vitro in einem Nährmedium zu kultivieren. Die Zellen dafür werden zum Beispiel bei Operationen aus dem entnommenen Gewebe gewonnen. Sie können vermehrt und manchmal über Jahre hinweg in Brutschränken am Leben gehalten werden.

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Mit den Zellkulturen können Wissenschaftler zum Beispiel durch ein Mikroskop beobachten, wie menschliche Hautzellen auf eine bestimmte Substanz reagieren und wie sie sich verändern. Zudem können sie beispielsweise untersuchen, warum eine Veränderung eines bestimmten Gens eine gesunde Zelle zur Krebszelle werden lässt. Auch die Reaktion unserer Zellen auf eine Infektion mit dem Coronavirus und den Umbau der befallenen Zellen zu Virenfabriken für SARS-CoV-2 wird mit solchen Kulturen untersucht. Mit Kulturen aus Nervenzellen können zudem in-vitro Nervengifte erforscht werden.

Mit dem sogenannten Monozyten-Aktivierungstest (MAT) lassen sich fiebererregende Stoffe in Arzneimitteln nachweisen. Dafür geben Forscher die Arznei in ein Behältnis mit menschlichen Blutzellen und messen nach einer gewissen Zeit die im Blut zirkulierende Immunzellen, die Monozyten, um die Immunantwort zu beurteilen.

Organe künstlich hergestellt

Eine weitere Möglichkeit sind dreidimensional wachsende Zellkulturen, mit denen sogar komplexe Gewebestrukturen nachgebaut werden können. So ist es Forschern zum Beispiel schon gelungen, eine Nierenvorstufe direkt aus induzierten Stammzellen zu züchten.

Auch funktionierende Muskelfasern wurden aus menschlichen Muskelzellen bereits im Labor gezüchtet. Sie reagieren wie natürlich gewachsene Muskeln auf elektrische Reize und medizinische Wirkstoffe und könnten daher etwa für die Tests neuer Medikamente und als Modell seltener Krankheiten dienen. Und auch die Haut mit ihren verschiedenen Schichten konnte schon künstlich „in der Petrischale“ hergestellt werden.

Außerdem ist es schon gelungen, sogenannte „Mini Brains“, millimetergroße, dreidimensionalen Gehirne aus menschlichen Zellen, zu erzeugen. Sie besitzen bereits viele anatomische und funktionelle Eigenschaften des kompletten Organs, da sie aus mehreren verbundenen Schichten verschiedener Zelltypen bestehen. Je nach Struktur, Eigenschaften und Herstellung gibt es verschiedene Arten von Hirnorganoiden, die zur Forschung unterschiedlicher Hirnregionen genutzt werden können.

Diese in-vitro-Modelle haben den Vorteil, dass sie nicht nur ohne Tierversuche auskommen, sondern auch eine personalisierte Medizin ermöglichen. Zum Beispiel kann Krebspatienten eine Probe von Tumorzellen entnommen, kultiviert und dann zu einem individuellen Tumor-Organoid gezüchtet werden. Daran können Forscher dann Therapiemöglichkeiten testen und die wirksamsten Medikamente wählen.

Fast alles ist möglich

Darüber hinaus können Wissenschaftler mit menschlichen Zellen auch im 3D-Drucker dreidimensionale Organe erstellen. So zum Beispiel künstliche Eierstöcke oder ein vollständiges Herz. Und auch Hautgewebe konnten schon gedruckt werden. Damit können Forschende unter anderem Hautreizungen durch Wirkstoffe oder Chemikalien verlässlich testen oder beispielsweise mit Zellen eines Patienten passende Haut auf verbrannte Körperstellen transplantieren.

Noch weiter gehen Forscher mit sogenannten Muli-Organ-Chips: Dabei werden mehrere Organoide aus menschlichen Zellen auf einem Biochip über ein Mikrokanal-System aus Glasröhrchen miteinander verbunden. Durch die Kanäle kann unter anderem der Blutkreislauf und Stoffwechsel nachgeahmt werden, sodass ganze Organsysteme in Miniaturform auf dem Chip entstehen. Allerdings hat diese Nachbildung des Menschen weder ein Bewusstsein, noch Empathieempfinden.

Digitale Forschung

Neben den Zellkulturen können Wissenschaftler auch mit speziellen Computersystemen wie zum Beispiel dem „Quantitative Structure Activity Relationship“ auf Grundlage der Molekularstruktur einer Substanz ihre wahrscheinliche Wirkung berechnen sowie Krankheiten analysieren und nach Wirkstoffen suchen.

CT
Mit Computertomographen können Krankheitsbilder direkt am Menschen untersucht werden. © MBq/ gemeinfrei

Außerdem können angehende Ärzte mittels Echtzeit-Simulationen am Computer auch Operationen nachstellen. Dabei sieht der Chirurg Bilder einer echten Operation an einem menschlichen Patienten, während er mit den Instrumenten arbeitet. Er kann sehen, wenn er zum Beispiel zu tief ins Gewebe schneidet, weil die Blutmenge dann animiert wird und fühlt sogar mittels haptischer Wahrnehmung, wenn er etwa mit den Instrumenten auf Gewebe trifft oder die Pinzette bewegt.

Auch mithilfe von bildgebenden Verfahren wie beispielsweise der Magnetresonanztomographie (MRT) und Computertomographie (CT) kann auf Tierversuche verzichtet werden. Damit können Forscher zum Beispiel direkt am Menschen das Gehirn erforschen oder beobachten, welche Hirnregionen bei bestimmten Verhaltensweisen aktiv sind.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Kontroverse um Tierversuche
Medizinischer Bedarf oder Tierleid ohne Aussagekraft?

Zweck hinter Tierversuchen
Tiertests für den medizinischen Fortschritt

Vom Antrag zum Experiment
Genehmigungsverfahren für Tierversuche

Leiden in Tierversuchen
Ethische Betrachtung von Tests an lebendigen Tieren

Probleme der Übertragbarkeit
Warum Tierversuche risikoreich sein können

Alternativen zu Tierversuchen
Zellkulturen, Computermodelle und bildgebende Verfahren

Warum noch Tierversuche?
Alternativen noch nicht universal einsetzbar

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