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Phänomene

Abschied vom Ur-Kilogramm

Neudefinition der Einheiten für Masse und Stoffmenge

Es ist eines der berühmtesten und wertvollsten Objekte der Welt. Mehr als 130 Jahre lang bestimmte ein kleiner Metallzylinder, wie viel ein Kilogramm wiegt – das Ur-Kilogramm. Geschützt von einer dreifachen Käseglocke aus Glas und in einem Tresor beim Internationalen Büro für Maß und Gewicht (BIPM) nahe Paris war diese Referenzmasse maßgebend für alle Eichgewichte weltweit.

Nationale Kopie des Ur-Kilogramms (vorne) mit Eichgewichten © J.L. Lee/ NIST

Vom Zylinder zur Planck-Konstante

Doch genau das ist das Problem. Denn obwohl das Ur-Kilogramm aus einer besonders beständigen Legierung aus 90 Prozent Platin und zehn Prozent Iridium besteht, nagt auch an ihm der Zahn der Zeit. Winzige Stäubchen und Gasmoleküle lagern sich an seiner Oberfläche an, gleichzeitig kann beim Reinigen des wertvollen Artefakts auch Metall verloren gehen. Tatsächlich zeigen Messungen, dass zwischen dem Ur-Kilogramm und seinen weltweit verteilten Kopien immer stärkere Abweichungen auftreten.

Schon seit langem suchen Wissenschaftler daher nach Methoden, die Einheit Kilogramm so zu definieren und zu messen, dass der Metallzylinder überflüssig wird. Wo es hingehen sollte, war relativ schnell klar: Die neue Definition sollte auf der Planck-Konstante h basieren, der kleinsten im Universum übertragbaren Energieeinheit. Die Tücke lag allerdings im Detail, denn lange versuchte man vergeblich, Messmethoden mit ausreichender Genauigkeit zu finden. Noch 2017 lagen dabei vier Verfahren auf der Zielgeraden.

Die Watt-Waage ist eine der beiden Messmethoden, die das Kilogramm letzlich mithilfe der Planck-Konstante bestimmt. © J. L. Lee / NIST

Watt-Waage und Avogadro-Kugel

Jetzt ist die Entscheidung gefallen: Nachdem zwei Messmethoden die erforderliche Präzision erreicht haben, kann mit dem Kilogramm auch die letzte noch ausstehende SI-Einheit neu definiert werden. Ab dem 20. Mai 2019 leitet sich diese SI-Einheit direkt von der Planck-Konstante ab, deren Wert auf 6,626070040 x 10-34 Joulesekunden (Js) festgesetzt wurde. Weil Joulesekunde sich auch als Kilogramm mal Quadratmeter pro Quadratsekunde ausdrücken lässt, ist der Bezug zur Masse-Einheit gegeben.

Bestimmt wird das Kilogramm demnächst über zwei verschiedene Wege. Eine Messmethode ist die Watt-Waage. Sie misst die elektromagnetische Kraft, die nötig ist, um ein Kilogramm genau auszugleichen und in der Schwebe zu halten. Über die an dieser Messung beteiligte Erdschwerkraft und die elektrischen Größen ist das Kilogramm dabei mit der Planck-Konstante verknüpft.

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Die zweite, unter anderem an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) entwickelte Methode, ist die Bestimmung über die Avogadro-Konstante. Dabei wird die Zahl der Atome in einer hochreinen Siliziumkugel unter anderem mittels Röntgendiffraktion gezählt. Weil das Atomgewicht des Siliziums bekannt ist und die Avogadro-Konstante angibt, wie viele Atome in einem Mol eines Stoffes vorhanden sind, lässt sich von dieser Kugel auf das Kilogramm schließen. „Vereinfacht gesagt finden wir heraus, was ein Silizium-Atom wiegt und können im Umkehrschluss berechnen, wie viel Silizium-Atome für ein Kilogramm erforderlich sind“, erklärt Ingo Busch von der PTB.

Vermessung der "Avogadro-Kugel" aus Silizium im Interferometer. © PTB

Praktisch allerdings ändert sich trotz dieser neuen Messverfahren an den Eichprozessen in den Ländern und Behörden wahrscheinlich wenig. Statt der Kopien des Ur-Kilogramms werden künftig möglicherweise Kopien der Avogadro-Siliziumkugel zum Kalibrieren von Waagen verwendet, vielleicht aber auch normale Kilogramm-Eichgewichte, die dann eben mittels Watt-Waage geeicht wurden.

Neudefinition auch für das Mol

Quasi als Nebeneffekt der Neudefinition des Kilogramms wird künftig auch das Mol, die SI-Einheit für die Stoffmenge, auf eine neue Basis gestellt. Bisher ist ein Mol definiert als die Stoffmenge, die der Menge von Atomen in 0,012 Kilogramm des Kohlenstoff-12-Isotops entspricht. Künftig bezieht sich das Mol – auch im Messverfahren – direkt auf die Avogadro-Konstante.

Denn die Siliziumkugel der PTB-Forscher ermöglicht auch eine genaue Bestimmung der Avogadro-Konstante. Und diese ist direkt mit dem Mol verknüpft: Denn die Konstante besagt, dass in einem Mol eines Stoffes 6,022140857 x 1023 Teilchen enthalten sind.

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Nadja Podbregar
Stand: 23.11.2018

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Die Maße aller Dinge
Die SI-Einheiten und ihre Neudefinition

Die Basis des Messens
Vom Kalkklötzchen zum Ur-Kilogramm

Die "fundamentalen Sieben"
Die SI-Einheiten und ihre Bedeutung

Licht und ultrakalte Atome
Die Basis für Meter und Sekunde

Das neue Kelvin
Vom Tripelpunkt zur Boltzmann-Konstante

Elektronenzählen leicht gemacht
Der Weg zum neuen Ampere

Abschied vom Ur-Kilogramm
Neudefinition der Einheiten für Masse und Stoffmenge

Revolution der Metrologie
Was bringt das neue SI?

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