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Anthropogeographie

Abgeschaut vom Wüstenwind

Wie kamen die Chinchorro auf die Idee der Mumien?

Wie entstehen neue kulturelle Traditionen und Kulturtechniken? Was brachte das Volk der Chinchorro vor rund 7.000 Jahren dazu, plötzlich ihre Toten auf aufwändige Weise zu präparieren und zu Mumien zu machen? Obwohl die ersten Chinchorro-Mumien schon 1914 von dem deutschen Archäologen Max Uhle entdeckt wurden, war bis vor kurzem unklar, wo der Ursprung dieser Bestattungspraxis liegt.

Menschlicher Schädel aus einem Chinchorro-Grab mit Totenhelm und Grabbeigaben © Pablo Trincado / CC-by-sa 2.0

2012 brachte dann ein internationales Forscherteam um Pablo Marquet von der Katholischen Universität Chile in Santiago mehr Licht in die Anfänge dieses südamerikanischen Mumienkults. Bei ihrer Untersuchung gingen die Forscher von der Hypothese aus, dass das Klima entlang der Andenküste vielleicht das Entstehen dieser Kulturtechnik begünstigt haben könnte. Denn in der Frühzeit der Chinchorro-Kultur schuf ein günstiges, feuchtes Klima in Küstennähe viele Quellen und Wasserläufe und ließ die Bevölkerung stark anwachsen.

Wüstenwind macht Mumien

Vor rund 7.000 Jahren änderte sich dies jedoch allmählich: Vor allem weiter im Inland wurde es trockener, die Atacamawüste wuchs. Die trockene Luft der nahen Wüste aber sorgte dafür, dass die nur in sehr flachen Gräbern bestatteten Toten der Chinchorro nicht verwesten, sondern vertrockneten. „Die Chinchorro müssen dadurch im Laufe der Zeit immer wieder solchen unverwesten Leichen begegnet sein“, erklären die Forscher. Wind und Erosion legten die Toten häufig wieder frei.

Chinchorro-Funde im Museum © Heretiq/ CC-by-sa 2.5

Der Anblick dieser natürlich entstandenen Mumien brachte die Chinchorro wahrscheinlich auf die Idee, diese Art der Mumifizierung zu unterstützen und gezielt herbeizuführen. Nach und nach begannen sie damit, ihre Toten gezielt so einzubalsamieren, dass sie nicht verwesten. Und noch etwas fällt auf: Unter den ältesten Chinchorro-Mumien sind fast nur Säuglinge, Kinder und stillende Mütter. Erst rund 1.500 Jahre später kommen dann auch Männer und ältere Frauen dazu. Ab dann bestatteten die Chinchorro offenbar alle ihre Toten nach diesem komplexen Ritual.

Im Tod waren alle gleich

Im Gegensatz zu den Ägyptern kannten die Chinchorro dabei offenbar keine gesellschaftlichen Klassen: Mumifiziert wurde nicht nur eine Elite, sondern alle Verstorben, im Tode waren sie mehr oder weniger gleich. Nur die Grabbeigaben unterschieden sich – allerdings auch dies nicht nach Klasse sondern nach Geschlecht: Frauen bekamen meist Fischereiutensilien mit auf die letzte Reise, Männer eher Jagdgerät.

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Ein Ende fand der Totenkult der Chinchorro vor 4.400 Jahren. Damals wurde das Klima entlang der Küste noch trockener, Wasser wurde knapp. Die Chinchorro musste ihr Gebiet verlassen und zogen aus dem Küstengebiet weg. Ihre Kultur verliert sich. Doch die Technik der Mumifizierung blieb erhalten. Sie sollte tausende Jahre später von einer der großen Hochkulturen Südamerikas wieder aufgegriffen werden.

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Nadja Podbregar
Stand: 13.06.2014

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Das Rätsel der Andenmumien
Toten- und Opferrituale am Rande der Atacama

Die Chinchorro-Mumien
Verblüffend komplexe Bestattungstechniken bei einfachen Fischern

Abgeschaut vom Wüstenwind
Wie kamen die Chinchorro auf die Idee der Mumien?

Opfertod für Gott und Volk
Die Capacocha-Zeremonie der Inka

Die Mumie vom Feuerberg
Die Entdeckung der Inka-Mumie "Juanita"

Tod im Rausch
Das Rätsel der drei Kinder vom Llullaillaco

Erst verwöhnt, dann geopfert
Die letzten Monate vor dem Capacocha-Ritual

Make-Up für die Toten
Der Totenkult von Teotihuacan

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