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Anthropogeographie

4.000 Jahre verdeckte Geschichte

Der Tavoliere in Apulien

Als John Bradford Anfang 1945 mit seiner Einheit der Royal Air Force nach Italien kommt, steht der Zweite Weltkrieg kurz vor dem Ende. Von Süditalien aus, wo Bradford stationiert ist, fliegen die Briten die letzten entscheidenden Angriffe auf Deutschland. Bradford selbst steht jedoch nicht an vorderster Front. Er ist als Offizier verantwortlich für die Auswertung von Luftbildern, die seine Flieger-Kollegen vom besetzten Italien anfertigen.

Dass diese Aufgabe auch die nächsten Jahre seines Lebens bestimmen und ihn sogar berühmt machen wird, ahnt Bradford noch nicht. Der Offizier ist nicht von ungefähr den Luftbild-Analysten zugeteilt worden. Er ist Archäologe, man traut ihm deshalb zu, auch geheime Luftwaffenstützpunkte oder Militäroperationen des Gegners zu identifizieren.

Romanische Villa in Apulien, Aufnahme von John Bradford © Universität Foggia

Kreise, Linien und ein Spinnennetz

Doch Bradford entdeckt etwas ganz anderes auf den hunderten Fotos, die durch seine Hände gehen. Vor allem die Aufnahmen vom Tavoliere in Apulien, einer brettflachen Landschaft am „Stiefelsporn“ von Italien erwecken sein Interesse. Dutzende von Kreisen und Halbkreisen, mehrere Meter groß, manchmal konzentrisch miteinander verwoben, sind auf den fotografierten Getreidefeldern zu sehen. Allein auf einem Gebiet von rund 100 Quadratkilometern finden sich bis zu 200 Ansammlungen dieser „Kornkreise“. Dazwischen erkennt Bradford weitere Strukturen – parallel verlaufende Linien, die sich schachbrettartig kreuzen, und Linien, die wie ein Spinnenetz auf ein kreisförmiges Zentrum zulaufen.

Bradford ist sich sicher, dass er einen Jahrhundertfund gemacht hat. Die Zeit nach der Kapitulation Italiens nutzt der Offizier, um noch einmal gezielt über dem Tavoliere zu fliegen und weiter Fotografien zu machen. Und er beginnt, seine Veröffentlichungen in Fachmagazinen wie der britischen „Antiqua“ zu veröffentlichen.

Spuren aus 4.000 Jahren Geschichte

Der Archäologe hat erkannt, dass es sich bei den seltsamen Ringen im Korn um die Spuren jungsteinzeitlicher Siedlungen handelt, wie sie zuvor schon in Bulgarien oder in Deutschland gefunden worden waren. Die Schachbrettmuster interpretiert er nach zahlreichen Diskussionen mit anderen Archäologen als die Überbleibsel der Landkultivierung durch die Römer. Diese hatten rechteckige Felder angelegt und große Gutshöfe, die durch ein hierarchisches Straßennetz miteinander verbunden waren. Die spinnennetzartigen Formen schließlich sind für ihn ein Zeichen mittelalterlicher Siedlungs- und Stadtentwicklung.

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Alles in allem, erkennt Bradford, könnte man anhand der Spuren in dieser „zugedeckten Landschaft“, die Siedlungs- und Kulturgeschichte im Tavoliere über einen Zeitraum von rund 4.000 Jahren fast vollständig rekonstruieren.

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Stand: 29.02.2008

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Luftbildarchäologie
Wenn Archäologen zur Cessna statt zum Spaten greifen

Pioniere mit Ballon und Doppeldecker
Die Anfänge der Luftbildarchäologie

Entdeckerjahre für Steinkreis-Fans
Die Megalithen von Südengland

4.000 Jahre verdeckte Geschichte
Der Tavoliere in Apulien

Trockenheit als Standortvorteil
Welche Faktoren erhöhen die Erfolgschancen der Luftbildarchäologie?

Wenn der Weizen im Trocknen steht
Das Alphabet der Luftbildarchäologie

„Fliegen allein reicht nicht“
Der Entdecker des Sonnenobservatoriums in Goseck im Interview

Meister des Wassermanagements
Brunnengalerien an der Seidenstraße

Cessna oder Google Earth?
Von Luft- zu Satellitenbildern

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