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Genetik

Wenn Mütter die Gene der Väter im Embryo komplett abschalten

Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie (GMI)

Beim Menschen und bei vielen anderen Arten beeinflussen sowohl die von der Mutter als auch die vom Vater vererbten Gene die Entwicklung des Embryos. Beim Lebermoos Marchantia polymorpha übernimmt die Mutter die totale Kontrolle, wie Forscher aus der Gruppe von Frédéric Berger am Gregor Mendel Institut jetzt herausgefunden haben. In ihrer neuen im Fachjournal eLife veröffentlichten Studie zeigt die Gruppe, dass die Mutterpflanze beim Lebermoos die väterlichen Gene in ihren Embryonen vollständig deaktiviert, damit deren Entwicklung fehlerfrei ablaufen kann.

Der Mensch erhält bei der Befruchtung sowohl mütterliche als auch väterliche Chromosome. Die Nachkommen tragen daher Merkmale von beiden Elternteilen, was uns zu „Diploiden“ macht. Das ist aber nicht bei allen Lebewesen der Fall:

Algen und Verwandte der Moose, einschließlich der Lebermoose, verbringen den größten Teil ihres Lebenszyklus mit nur einem einzigen Chromosomensatz. Das Lebermoos hat nur eine sehr kurze diploide Phase, in der sich das genetische Material einer mütterlichen und einer väterlichen Keimzelle zu einem Embryo vereinigt, der sich innerhalb des mütterlichen Gewebes entwickelt. In dieser kurzen diploiden Phase muss die Pflanze über einen Mechanismus verfügen, um mit der Verdoppelung dieses genetischen Materials umzugehen.

Ein solcher Mechanismus ist die Stilllegung einer Kopie eines Gens, auch „elterliche genomische Prägung“ genannt. Bei der genomischen Prägung kann sogar ein ganzes Chromosom dauerhaft deaktiviert werden, wie es etwa bei einem der beiden X-Chromosomen bei Frauen der Fall ist. „Bisher wurde die elterliche genomische Prägung nur bei Arten nachgewiesen, die extraembryonale Gewebe entwickelt haben, welche Nährstoffe von der Mutter zum Embryo leiten, wie die Plazenta bei Säugetieren und das Endosperm bei Blütenpflanzen,“ sagt Frédéric Berger, Senior Group Leader am GMI – Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Die Expression der väterlichen Gene wäre der Tod des Embryos

Die Lebermoos-Embryonen wachsen im mütterlichen Gewebe, aber im Gegensatz zu Säugetieren und Blütenpflanzen haben sie kein extraembryonales Gewebe. Davon ausgehend fragten sich die ForscherInnen, ob beim Lebermoos Mechanismen der elterlichen genomischen Prägung vorkommen.

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„Wir fanden heraus, dass Marchantia die väterlichen Chromosomen im Embryo noch vor der Verschmelzung des väterlichen und mütterlichen Genoms vollständig ausschaltet. Auf diese Weise bewahrt Marchantia selbst während des kurzen Stadiums, in dem es diploid wird, eine funktionelle Haploidie,“ sagt Erstautor Sean Montgomery, ein PhD-Absolvent aus dem Berger-Labor am GMI. Das Team fand auch heraus, dass die molekulare Markierung, die sich auf den väterlichen Chromosomen befindet, während der gesamten Entwicklung des Embryos erhalten bleibt. „Die Entwicklung des Embryos hängt also ausschließlich von der Expression der mütterlichen Gene ab. In gewisser Weise haben die mütterlichen Gene die totale Kontrolle. Eine Behinderung dieses Prozesses führt zur Expression der väterlichen Gene und damit zum Tod des Embryos,“ erklärt Berger.

Kratzen an der Oberfläche der Vielfalt der Natur

Der Mechanismus, um Gene stillzulegen, den das Team im Lebermoos beschrieben hat, ist an sich nicht neu. Diese gezielte Stilllegung wird durch den „Polycomb Repressive Complex 2“ (PRC2) vermittelt. Dieser genaue Mechanismus war jedoch noch nicht mit der Stilllegung von ganzen Chromosomen in Verbindung gebracht worden.

Da die Vorfahren des Lebermooses wesentlich älter sind als die von Säugetieren oder Blütenpflanzen, deuten die Ergebnisse an, dass sich die Mechanismen der genomischen Prägung viel früher entwickelt haben, als bisher bekannt war. Darüber hinaus vermuten Berger und sein Team, dass sich dieses Phänomen in verschiedenen Lebensformen mehrfach entwickelt hat und dass noch viele Mechanismen der genomischen Prägung zu entdecken sind. „Mit unserer Arbeit konnten wir einen einzigartigen Aspekt der Biologie beleuchten, einen Ausschnitt aus der großen Vielfalt der Natur,“ so Montgomery abschließend. (eLife, 2022; doi: 10.7554/eLife.79258)

Quelle: Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie (GMI)

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