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Gesellschaft

Dort arbeiten, wo andere Urlaub machen

Flexibilisierung der Arbeitswelt

Bislang ist die flexible Arbeitszeitgestaltung ein Privileg weniger Berufsgruppen, die ihre Arbeit primär online erledigen. © Giorgio Montersino / CC BY-SA 2.0

Immer mehr Menschen möchten sich dem traditionellen 9-to-5-Arbeitszeiten-Modell entziehen und wünschen sich, ihr Arbeitsleben individueller gestalten zu können. In einigen Berufsgruppen ist dies schon heute Standard, insbesondere bei Freelancern und Selbstständigen, die ihre Arbeit primär online erledigen. Doch das Internet und mobile Endgeräte machen heutzutage nahezu jeden Bürojob flexibler und einen festen Arbeitsplatz mit ständiger Präsenzpflicht mehr und mehr obsolet.

Der Trend ist deutlich: Auch Festangestellte werden zukünftig vermehrt die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden, wann und wo sie arbeiten möchten. Doch die Digitalisierung des Arbeitsplatzes kann auch negative Folgen haben. So verschwimmt mit der steigenden Flexibilität auch die Grenze zwischen Beruf und Privatleben – nicht selten mit negativen Auswirkungen.

Laut einer Studie von Joblift bieten derzeit lediglich 0,01 % der offenen Stellen die Flexibilität, ortsunabhängig zu arbeiten. Zwar ermöglichen immer mehr Firmen ihren Mitarbeitern gelegentliches Home Office, also das Arbeiten von zuhause aus. Vollkommen ungebunden ist bislang jedoch nur eine sehr kleine Anzahl an Menschen, die nur relativ wenige Berufsgruppen umfasst. Allen voran sind es Software-Entwickler und Texter, die ortsungebunden Geld verdienen können, aber auch Marketingkräfte, Dataanalysten oder Sales Manager.

Arbeiten und die Welt sehen

Ein Laptop und schnelles Internet – mehr brauchen viele nicht, um ihre Arbeit ausführen zu können. Für sogenannte „Digital Nomads“, zu Deutsch: Digitale Nomaden, bedeutet dies, dass sie von den meisten Orten der Welt aus arbeiten und ihren Beruf mit Reisen verbinden können. Sie verbringen meist nur ein paar Monate am selben Ort, reisen mit Touristenvisa und teilen sich ihre Arbeitszeiten selbst ein. Gelebt wird aus dem Koffer, gewohnt in möblierten Airbnb-Apartments oder -Zimmern. In „Co-Working-Spaces“ haben Digital Nomads die Möglichkeit, in einem großen Büro gegen Bezahlung einen Schreibtischplatz mit Internetanschluss zu mieten – Arbeits- und Office-Atmosphäre gratis mit dazu. Wer das nicht unbedingt braucht, kann, zumindest theoretisch, auch direkt am Strand in der Hängematte liegend arbeiten.

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Was für viele mehr als verlockend klingt, ist in der Realität jedoch häufig alles andere als rosig. Meist ist der Verdienst der Digital Nomads nicht besonders hoch, weswegen Länder mit günstigen Lebenshaltungskosten wie Thailand oder Bali bevorzugte Reiseziele darstellen. Wollen sie nicht von der Konkurrenz abgehängt werden, zwingt sie das Leben in verschiedenen Zeitzonen darüber hinaus häufig zum Arbeiten zu unbequemen Tageszeiten. Da Touristenvisa in der Regel nicht länger als drei Monate Gültigkeit haben, steht außerdem regelmäßig ein Ortswechsel an – neuer Bekannten- und Freundeskreis inklusive.

Das Heim reist mit

Manche Digital Nomads gehen sogar noch einen Schritt weiter und nehmen neben ihren Arbeitsgeräten auch ihre eigenen vier Wände mit auf die Reise. Anhänger der sogenannten „Vanlife-Bewegung“ reisen im Wohnmobil von einem Ort zum anderen und verlagern ihren Arbeits- und Lebensmittelpunkt im Tages-, Wochen- oder Monatstakt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Wohnungssuche am neuen Ort entfällt, denn das vertraute Zuhause reist stets mit. Entscheiden sie sich dafür, doch einmal für eine gewisse Zeit sesshaft zu werden, haben sie außerdem die Möglichkeit, auf Portalen wie campanda.de das Wohnmobil zeitweise zu vermieten und so die finanziellen Mehrkosten wieder auszugleichen.

Ohne Frage bietet dieses Leben gerade für abenteuerlustige Millennials eine interessante Möglichkeit, die Welt zu entdecken und nebenbei genug Geld zu verdienen, um das Reisen zu finanzieren. Selbstbestimmt leben und ein hohes Maß an Unabhängigkeit: Wer weder Kinder noch andere Verantwortlichkeiten hat, kann durch diesen Lebensstil zumindest zeitweise wertvolle Erfahrungen sammeln.

Längerfristig gesehen hat die zunehmende Digitalisierung des Arbeitsplatzes jedoch nicht nur positive Auswirkungen. Neben der örtlichen Flexibilität steigt auch der Druck, ständig und überall erreichbar zu sein. Wer von allen Punkten der Erde aus Zugriff auf seine E-Mails und Dokumente hat, kann bei Bedarf theoretisch auch zu jeder Tages- und Nachtzeit arbeiten. Gibt es besonders viel zu tun, kommt der Laptop oder das Tablet auch zwischendurch zum Einsatz, z. B. im Wartezimmer beim Arzt oder während der Zugfahrt. Was auf der einen Seite als Flexibilität geschätzt wird, kann so schnell zum neuen Zwangskorsett werden.

Feste Arbeitszeiten sind ein Relikt aus dem Industriezeitalter und behindern die Produktivität, so sagen die einen. Die anderen warnen hingegen vor Ausbeutung, Burn-Out und einem immer weiter steigenden Leistungsdruck in unserer Gesellschaft. Darüber hinaus erfordert ortsunabhängiges Arbeiten ein hohes Maß an Selbstdisziplin, mit der nicht jeder Mensch gleich gut umgehen kann.

(Der Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit dem externen Autor Philipp Lesker., 29.03.2018 – )

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