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Medizin

Potenziell infektiöses Coronavirus in russischen Fledermäusen

Coronavirus kann an humanem ACE2-Rezeptor andocken, macht aber (noch) nicht krank

Kleie Hufeisennase
In russischen Exemplaren der Kleinen Hufeisennase (Rhinolophus hipposideros) wurde ein Coronavirus entdeckt, das menschliche Zellen infizieren kann. Diese Fledermausart kommt auch in Mitteleuropa vor. © Mantonature/ Getty images

Potenzielle Gefahr? Ein in russischen Fledermäusen entdecktes Coronavirus kann menschliche Zellen befallen, wie Zellkulturtests enthüllen. In ihnen dockte dieses Khosta-2 getaufte Virus an den menschlichen ACE2-Rezeptor an und infizierte die Zellen. Zwar fehlen diesem Fledermaus-Coronavirus noch einige krankmachende Genabschnitte, so dass eine Infektion wahrscheinlich wenig Folgen hätte. Doch bei Kontakt und Rekombination dieses Tiervirus mit SARS-CoV-2 könnte ein neuer, gegen unsere Impfstoffe resistenter Erreger entstehen, warnen Forscher.

Spätestens seit SARS, MERS und der aktuellen Corona-Pandemie ist klar, dass in Tieren verbreitete Coronaviren auch auf den Menschen überspringen können. Ihre hohe Anpassungsfähigkeit macht die tierischen Coronaviren zu einem Reservoir für künftige Seuchenerreger. In asiatischen Fledermäusen wurden schon mehrere Coronaviren nachgewiesen, die SARS-CoV-2 sehr ähneln und deren Spike-Protein an die ACE2-Rezeptoren auf menschlichen Zellen andocken kann. Einige Forscher vermuten sogar, dass es in Südostasien ständig unerkannte Infektionen mit solchen Tier-Coronaviren gibt.

Spike-Protein
Spike-Protein des Coronavirus SARS-CoV-2. Seine Konfiguration bestimmt, wie gut eine Virenvariante an menschliche Zellen andocken kann. © NIAID

Neue Coronaviren in russischen Fledermäusen

Doch potenziell infektiöse Tier-Coronaviren gibt es nicht nur in Südostasien, wie nun Stephanie Seifert von der Washington State University und ihre Kollegen festgestellt haben. Für ihre Studie hatten sie Merkmale und Verhalten von zwei in Russland entdeckten Coronaviren näher untersucht. Diese Khosta-1 und Khosta-2 getauften Viren wurden Ende 2020 in zwei Fledermausarten aus der Gattung der Hufeisennasen entdeckt. Wie SARS-CoV-2 gehören sie zur Untergattung der Sarbecoviren.

„Weil diese russischen Coronaviren anders aussahen als SARS-CoV-2, hielt sie zunächst keiner für besonders aufregend“, erklärt Seiferts Kollege Michael Letko. Die Oberflächenproteine der Khosta-Coronaviren unterscheiden sich in einigen Zuckeranlagerungen und Molekülschleifen deutlich vom Pandemie-Erreger – weshalb man in ihnen keine potenzielle Gefahr für den Menschen sah. Um dies zu überprüfen, erzeugte das Team Pseudoviren mit der auf dem Spike-Protein sitzenden Rezeptorbindestelle der Khostaviren und testete, ob sie zwei menschliche Zelllinien infizieren können.

Khosta-2 kann menschliche Zellen infizieren

Das Ergebnis: Khosta-1 erwies sich zwar als ungefährlich für humane Zellen, nicht aber Khosta-2. „Wir waren wirklich überrascht, dass dieses Virus menschliche Zellen infizieren kann“, sagt Letko. Im Test konnte die Bindungsstelle des russischen Tiervirus an den ACE2-Rezeptor der menschlichen Zellen andocken und so in sie eindringen. Das Khosta-2-Virus nutzte damit die gleiche Eintrittspforte wie SARS-CoV-2, wenngleich die Infektiosität im Vergleich zum Covid-19-Ereger geringer war, wie das Team berichtet.

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Nähere Analysen enthüllten, dass sich das Khosta-2-Virus zwar in vielen anderen Proteinstrukturen deutlich von SARS-CoV-2 unterschiedet, nicht aber in seiner Bindungsstelle. „Diese teilt rund 60 Prozent ihrer Konfiguration mit verschiedenen Varianten von SARS-CoV-2“, berichten Seifert und ihre Kollegen. Die entscheidenden Strukturen des Spike-Proteins sind demnach ähnlich genug, um an menschliche Zellen andocken zu können. „Das demonstriert, dass auch Sarbecoviren, die in Tieren außerhalb Asiens kursieren, eine potenzielle Bedrohung der menschlichen Gesundheit darstellen können“, sagt Letko.

Rekombination könnte das Virus pathogen machen

Allerdings: Noch wäre das Khosta-2-Coronavirus selbst bei einer Infektion von Menschen nicht gefährlich. Denn ihm fehlen gleich mehrere Genabschnitte, die zur krankmachenden Wirkung von SARS-CoV-2 beitragen. Dadurch würde das menschliche Immunsystem diese Viren schnell erkennen und sie unschädlich machen, bevor Krankheitssymptome entstehen, wie die Wissenschaftler erklären.

„Unglücklicherweise sind Coronaviren aber auch dafür bekannt, sich in Wirten mit einer Co-Infektion rekombinieren zu können“, erklären Seifert und ihr Team. Das bedeutet: Ist ein Tier oder Mensch mit gleich zwei verschiedenen Coronaviren zur gleichen Zeit infiziert, können diese Erreger untereinander Gene austauschen und so neue hybride Virentypen bilden. Wenn nun das Khosta-2-Virus in einem solchen doppelt infizierten Wirt auf SARS-CoV-2 trifft, könnte ein neuartiges, krankmachendes Mischvirus entstehen.

Angesichts der Tatsache, dass bereits Übertragungen von SARS-CoV-2 zurück auf Wildtiere nachgewiesen wurden, sei eine solche Rekombination ein durchaus realistisches Szenario, betont das Team. „Zudem gibt es in Wildtieren noch eine ganze Reihe anderer Coronaviren, deren Eigenschaften wir definitiv nicht bei Khosta-2 haben wollen“, sagt Letko. Letztlich sei es daher nur eine Frage der Zeit, bis neue humanpathogene Coronavirus-Varianten auftauchen.

Breit wirksame Impfstoffe nötig

Nach Ansicht von Seifert und ihrem Team ist es daher umso wichtiger, breit wirksame Impfstoffe und Therapien zu entwickeln. Diese müssten nicht nur gegen SARS-CoV-2, sondern auch gegen noch unentdeckte Coronaviren wirken. Denn wie die Forschenden in ihren Tests ermittelten, können die gängigen Antikörpertherapien und Vakzinen das Khosta-2-Coronavirus nicht neutralisieren. Auch eine Vorinfektion mit Covid-19 würde nicht vor einer Infektion schützen.

„Es gibt schon mehrere Forschergruppen, die an einem solchen breit gegen Sarbecoviren wirkenden Impfstoff arbeiten“, sagt Letko. Ein erst kürzlich vorgestellter Prototyp für ein solches Breitband-Vakzin nutzt dafür spezielle Nanopartikel, die Proteinabschnitte von acht verschiedenen Coronaviren auf ihrer Oberfläche tragen. Als Folge produziert die Immunabwehr verstärkt Antikörper gegen die allen gemeinsamen Proteinabschnitte der Coronaviren – und kann so selbst nicht im Impfstoff enthaltenen Virusvarianten abwehren. (PLoS Pathogens, 2022; doi: 10.1371/journal.ppat.1010828)

Quelle: PLOS, Washington State University

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