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Evolution

Mäuse erklären Evolution der Sprache

Mausmodell verrät Neues über mögliche Funktionen des FOXP2-Gens

Änderungen in Nervenzellen (gelb gefärbt) haben bei der Evolution der Sprache wohl eine wichtige Rolle gespielt. Dies fanden Forscher in Leipzig mittels genetisch veränderten Mäusen heraus. © MPI für evolutionäre Anthropologie

Ein internationales Forscherteam hat eine wichtige Grundlage für das Verständnis der menschlichen Evolution geschaffen: Erstmals entwickelten die Wissenschaftler ein Mausmodell, mit dem sich wichtige Aspekte der Entwicklung von Sprache rekonstruieren lassen könnten.

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Die Forscher untersuchten in ihrer neuen Studie über die sie in der Fachzeitschrift „Cell“ berichten, Mäuse, die die menschliche Variante des FOXP2-Gens trugen. Die Tiere zeigten Änderungen in den neuronalen Schaltkreisen der Basalganglien, die beim Menschen vermutlich für die Evolution des Sprechens wichtig waren.

Welche genetischen Veränderungen ermöglichten die Ausbildung der besonderen menschlichen Eigenschaften im Verlauf der vergangenen sechs Millionen Jahre seit sich die Entwicklungslinien von Mensch und Schimpanse trennten? Das ist eine der spannendsten Fragen in der genetischen Forschung. Eine herausragende Eigenschaft des Menschen ist seine Fähigkeit zu sprechen. Zwei genetische Änderungen in dem Gen FOXP2 stehen seit längerem in Verdacht, bei der Evolution von Sprache eine Rolle gespielt zu haben. Die aktuelle Studie untersuchte nun erstmals die funktionellen Folgen dieser genetischen Änderungen, und zwar im Modellorganismus Maus.

FOXP2 und Sprache

FOXP2 ist das bisher einzige Gen, das gut mit der menschlichen Sprachfähigkeit assoziiert ist. Menschen, die nur eine statt zwei funktioneller Kopien dieses Gens besitzen, haben große Schwierigkeiten sprechen zu lernen. Andere Fähigkeiten sind dagegen gar nicht oder wesentlich schwächer betroffen.

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Außerdem hat sich FOXP2 auffällig während der menschlichen Evolution geändert: Während sich in den über 100 Millionen Jahren Evolution, die Nagetiere von Primaten trennt, nur eine einzige Aminosäure im FOXP2-Protein geändert hat, sind in den letzten sechs Millionen Jahren menschlicher Evolution hingegen gleich zwei Aminosäureänderungen aufgetreten. Um diese Assoziationen funktionell zu untersuchen, etablierte die Forschergruppe um Wolfgang Enard am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie ein entsprechendes Mausmodell.

„Humanisierte“ Mäuse

Die Forscher änderten das Erbgut der Mäuse so, dass deren FOXP2-Gen die beiden menschlichen Änderungen besaß. Diese „humanisierten“ Mäuse verglichen sie dann mit ihren normalen Geschwistern mit der mauseigenen FOXP2-Variante. In einer umfassenden Untersuchung in der Deutschen Mausklinik in München zeigte sich, dass das humanisierte FOXP2 keinen Einfluss auf über 200 physiologische und morphologische Parameter hatte. Abweichungen fanden sich aber in einigen Verhaltenstests, „und das deutet darauf hin, dass die menschlichen Änderungen in FOXP2 vor allem das Gehirn betreffen“, sagt Enard.

Änderungen in neuronalen Schaltkreisen

Weitere Untersuchungen der Wissenschaftler förderten auffällige Veränderungen in einem Teil des Gehirns, den so genannten Basalganglien zutage. So zeigten Nervenzellen dort nach Stimulation eine verstärkte synaptische Plastizität – eine Reaktion, die für Lernen und Gedächtnisbildung wichtig ist. Mäuse, die nur eine funktionelle Kopie des FOXP2-Gens besaßen, offenbarten entgegengesetzte Effekte. Möglicherweise sind es Änderungen in diesen neuronalen Schaltkreisen, die bei Menschen mit nur einer funktionellen Kopie von FOXP2 zu Sprachdefiziten führen. Die zwei funktionellen Kopien der menschlichen Variante von FOXP2 sollten somit im Laufe der menschlichen Evolution das Erlernen von Sprache ermöglicht haben. „Vorstellbar wäre, dass das menschliche FOXP2-Gen eine bessere Koordination der zum Sprechen nötigen Muskeln bewirkt“, spekuliert Enard.

Mäuse verständigen sich per Ultraschall

Mäuse können zwar nicht sprechen – sie verständigen sich mit Ultraschalllauten – die Forscher fanden jedoch heraus, dass diese bei den humanisierten Mäusen eine leicht niedrigere Tonhöhe haben. „Um dieses Ergebnis wirklich interpretieren zu können“, sagt Enard, „muss erst die Verbindung zwischen diesen angeborenen Lauten und der erlernten menschlichen Sprache besser erforscht werden.“

Noch sind also viele Fragen offen. Doch die Studie zeigt auf, wie man menschliche Evolution in einem Mausmodell untersuchen kann. „Das ist ein kleines, aber vielleicht wichtiges Puzzle-Teil in der menschlichen Evolution. Wir erwarten kein einfaches, wohl aber ein spannendes Puzzle“, so der Max-Planck-Forscher.

(Max-Planck-Gesellschaft, 02.06.2009 – DLO)

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