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Geowissen

Antarktis: Wilkins-Schelfeis vor dem Kollaps?

Erdbeobachtungssatellit TerraSAR-X entdeckt gekalbte Eisberge

Dieses am 23. April 2009 im so genannten Stripmap-Mode aufgenommene TerraSAR-X-Bild (Auflösung 3 Meter, Streifenbreite 30 Kilometer) zeigt die am 20. April 2009 herausgebrochenen Eisberge am antarktischen Wilkins-Schelfeis. In diesem Ausschnitt ist gut zu erkennen, dass sich zwischen den hellen, größeren Eisbergen umgekippte Eisberge - sichtbar als dunkle Blöcke - befinden. © DLR

Nach dem Verlust einer Eisbrücke am antarktischen Wilkins-Schelfeis wird nun die nördliche Eisfront instabil. Seit ein paar Tagen brechen dort die ersten Eisberge heraus. Dies haben Wissenschaftler mithilfe des Erdbeobachtungssatelliten TerraSAR-X herausgefunden.

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„Voraussichtlich werden in den kommenden Tagen und Wochen zwischen 570 und 3.370 Quadratkilometer wegbrechen, bevor sich – hoffentlich – eine neue, stabile nördliche Eisfront bildet“, sagt die Glaziologin Angelika Humbert vom Institut für Geophysik der Universität Münster.

Die TerraSAR-X-Bilder vom 23. und 25. April 2009 zeigen die „gekalbten“ Eisberge. Die Abtrennung der Eisberge erfolgt an den Schädigungszonen, die sich in den vergangenen 15 Jahren schrittweise gebildet haben. „Die hohe Auflösung der TerraSAR-X-Aufnahmen ermöglicht uns, Verformungen im Wilkins-Schelfeis auch im Bereich von circa 100 Metern und darunter zu beobachten“, so Humbert weiter und ergänzt: „Diese Informationen erlauben es uns Glaziologen, die Deformation anhand von Modellen genauer zu beschreiben.“

Einmalige Einblicke in den Ablauf von Schelfeisaufbrüchen

Neu geformte Risse sind in der Anfangsphase sehr schmal und daher in Aufnahmen mit geringer Auflösung, wie sie Satelliten der älteren Generation liefern, nicht sichtbar. Um den zeitlichen Ablauf der Ereignisse zu rekonstruieren, benötigt man hochaufgelöste Bilder, wie sie TerraSAR-X liefert. Durch die Analyse der zeitlichen Entwicklung bis hin zur Form der Risse erhalten die Forscher Einblicke in die Spannungszustände im Eis.

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„Insbesondere die Kombination aus hochauflösenden TerraSAR-X-Bildern und den häufigeren, niedriger aufgelösten Aufnahmen des europäischen Erdbeobachtungssatelliten ENVISAT (ENVIronmental SATellite) führt zu einem deutlichen Wissensgewinn, der einmalige Einblicke in den Ablauf von Schelfeisaufbrüchen gibt“, sagt Humbert.

Hintergrundmission Antarktis

Das Wilkins Schelfeis liegt im Fokus der vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) aufgebauten „Hintergrundmission Antarktis“. Sie hat das Ziel, die Veränderungen der Antarktischen Schelfeise zu beobachten und durch die gesammelten Informationen eine Klassifikation der Ursachen zu ermöglichen.

Die spektakulären Aufbruchereignisse am Wilkins-Schelfeis in 2008 hatten die 40 bis 50 Kilometer lange Eisbrücke zwischen Charcot und Latady Island auf eine Breite von nur 900 Meter an der dünnsten Stelle reduziert. Diese nur 250 Meter dicke Eisplatte brach dann am 5. April 2008 durch. Schelfeise werden durch die sie umgebenden Inseln stabilisiert und gewissermaßen eingedämmt. Der Verlust der Verbindung zu Charcot Island hatte daher nach Angaben der Forscher zwangsläufig zur Folge, dass die nördliche Eisfront des Wilkins Schelfeises instabil wird.

Schelfeise sind schwimmende Eismassen, die den Antarktischen Kontinent umgeben. Rund 90 Prozent des Inlandeises fließt über Eisströme und Gletscher in Schelfeise. Nach Ansicht der Wissenschaftler halten Schelfeise diese Eisströme und Gletscher zurück. Allerdings ist die Rolle, die Schelfeise hier spielen, noch nicht vollständig geklärt. Das Zerfallen von Schelfeisen reduziert diese Kraft und die dahinter liegenden Eismassen beschleunigen sich. Hierdurch fließt wiederum mehr Eis in den Ozean, was zum Meeresspiegelanstieg beiträgt.

Sieben Schelfeise auf dem Rückzug

In den vergangenen 30 Jahren haben sich nach Aussagen der Wissenschaftler sieben Schelfeise großflächig zurückgezogen oder sind vollständig zerbrochen, dies führte zu einem Verlust von einer Fläche von 25.000 Quadratkilometern. All diese Schelfeise lagen entlang der Antarktischen Halbinsel, einer Region, in der sich die Temperatur in den vergangenen 50 Jahren um 2,5 Grad Celsius – also weitaus höher als das globale Mittel – erhöht hat. Das Wilkins-Schelfeis, ebenfalls an der Antarktischen Halbinsel gelegen, hat sich in 2008 um 1.800 Quadratkilometer – etwa 14 Prozent seiner Fläche – verringert.

Im März 2009 – also vor dem Verlust der Eisbrücke und dem aktuellen Aufbruch – betrug die Fläche 11.200 Quadratkilometer. Da die Einstromgebiete im Hinterland vergleichsweise klein sind, wird eine Auflösung des Wilkins-Schelfeises den Meeresspiegel jedoch nur marginal beeinflussen, so die Forscher abschließend.

(Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), 29.04.2009 – DLO)

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