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Neurobiologie

Säuger erschnüffeln kranke Artgenossen

Studie: Alte Bekannte des Immunsystems sprechen Vomeronasalorgan an

Schematische Skizze eines Mauskopfes mit eingezeichnetem Vomeronasalorgan inklusive Nervenverbindung in das Riechhirn. Unten: Fluoreszenzmikroskopische Aufnahmen des VNO im Querschnitt (Übersicht links, Detailaufnahme rechts). Die grüne Fluoreszenz stammt von der Anregung eines grün fluoreszierenden Proteins (GFP), das durch genetische Verfahren in die VNO-Nervenzellen eingebracht wurde. © Ruhr-Universität Bochum

Bisher war es ein Rätsel, wie Säugetiere erschnüffeln können, ob ein Artgenosse krank ist. Eine heiße Spur bei der Lösung dieses Problems verfolgen jetzt Biologen. Sie entdeckten, dass ein Botenstoff des Immunsystems, der bei Bakterieninfektionen Abwehrzellen an den Ort des Geschehens lockt, auch Rezeptoren der Tiernase anspricht.

Das noch weitgehend unerforschte so genannte Vomeronasalorgan, das auf Pheromone reagiert, wird auch für spontane Abneigung oder Sympathie und Entscheidungen bei der Partnerwahl verantwortlich gemacht. Die Forscher um Professor Marc Spehr und Daniela Flügge von der Ruhr-Universität Bochum stellen ihre Studie zur im Riechsystem neu entdeckten Rezeptorfamilie FPR in der aktuellen Online-Ausgabe von „Nature“ vor.

Lebenswichtig: Informationen aus der Nase

Aufspüren und Qualitätsbewertung von Nahrung, Fernwahrnehmung möglicher Gefahren, Erkennung von Reviergrenzen oder unterbewusstes Auslösen verschollen geglaubter Erinnerungen – der Geruchssinn vermittelt eine Fülle wichtiger Informationen.

Eine besondere Funktion üben dabei Duftsignale aus, die zwischen Artgenossen für die soziale und sexuelle Kommunikation von entscheidender Bedeutung sind. Solche chemischen Signale, häufig als Pheromone bezeichnet, werden bei den meisten Säugetieren von einem speziellen Sinnesorgan, dem Vomeronasalorgan (VNO), wahrgenommen.

Das VNO ist ein an der Basis der Nasenscheidewand liegendes, von einigen tausend Nervenzellen ausgekleidetes, röhrenförmiges Sinnesorgan. Die Nervenzellen im VNO erkennen Pheromone mit Hilfe bestimmter Proteine, der so genannten vomeronasalen Rezeptoren. Bei Mäusen kennt man beispielsweise etwa 300 verschiedene solcher Rezeptoren, die grob in zwei Proteinfamilien eingeordnet werden – die V1R und V2R Rezeptoren.

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Proteine leiten Immunzellen zum Wirkungsort

Zu den enormen Leistungen des Geruchssinns gehört auch die Fähigkeit vieler Säugetiere, anhand des individuellen Körpergeruchs eines Artgenossen Rückschlüsse auf dessen Gesundheitszustand zu ziehen. „Wie der Geruchssinn diese Aufgabe bewältigt und welche Prozesse dabei auf der Ebene individueller Nervenzellen aktiv sind, ist eine der spannendsten aktuellen Fragen der modernen Neuro- und Sinnesbiologie“, so Spehr.

In enger Zusammenarbeit mit dem Team des Neurogenetikers Professor Ivan Rodriguez von der Universität Genf ist es Spehr und Flügge jetzt gelungen, eine neue Familie von VNO-Rezeptorproteinen zu identifizieren und ihre Funktion zu untersuchen. Die als Formylpeptidrezeptoren (FPR) bezeichneten Proteine galten bislang als Spezialproteine des Immunsystems.

Bei Entzündungsreaktionen infolge bakterieller Infektionen sind sie es, die die gezielte Wanderung (Chemotaxis) bestimmter Immunzellen (Granulozyten) an den Ort der Infektion bewirken. Dabei werden die Rezeptoren von bakteriellen Abbauprodukten, unter anderem durch so genannte Formylpeptide aktiviert.

Bakterielle Abbauprodukte werden riechbar

FPRs gehören, wie auch die bekannten vomeronasalen V1R- und V2R- Proteine, zur großen Gruppe der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren. Mithilfe fluoreszenzmikroskopischer Aktivitätsmessungen ist es dem deutsch-schweizerischen Forschungsverbund nun gelungen, nicht nur die Existenz von fünf dieser Rezeptoren in Säugetiergeruchsorganen nachzuweisen, sondern auch wichtige Aspekte ihrer dortigen Funktion aufzuklären.

Flügge und Spehr konnten zeigen, dass unter anderem die gleichen bakteriellen Substanzen, die eine Immunantwort auslösen, auch vomeronasale Nervenzellen aktivieren können. Die Bindung von bakteriellen Peptiden an FPRs führt zu einem kurzzeitigen Anstieg der Kalziumkonzentration in den Nervenzellen, ein Signal das daraufhin elektrische Entladungen der Zelle auslöst.

Da die bei Entzündungsreaktionen gebildeten bakteriellen Abbauprodukte auch in verschiedenen Körpersekreten ausgeschieden werden, glauben die Wissenschaftler nun, einen wichtigen Weg gefunden zu haben, der es einem Individuum erlaubt, den Gesundheitszustand eines Gegenüber anhand dessen Körpergeruchs zu bewerten.

(idw – Ruhr-Universität Bochum, 24.04.2009 – DLO)

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