Wie kommen die neu gebildeten Aids-Viren aus der Wirtszelle raus? Und welche Rolle spielt die Zelle selbst dabei? Anworten darauf haben jetzt die ersten dreidimensionalen Bilder im Nanometerbereich gegeben. Sie zeigen: Die Wirtszelle selbst ist an der Freisetzung des Aids-Erregers früher beteiligt und spielt vermutlich eine wichtigere Rolle als bisher angenommen.
Wissenschaftler des Hygiene-Instituts am Universitätsklinikum Heidelberg sind dem Virenaustritt gemeinsam mit Kooperationspartnern vom Max Planck Institut für Biochemie in Martinsried mit Hilfe eines neuen hochauflösenden Verfahrens, der Kryo-Elektronentomographie, auf den Grund gegangen. Die Ergebnisse tragen dazu bei, die komplizierten Wechselwirkungen zwischen Zelle und Virus zu verstehen – ein wichtiger Ansatzpunkt für zukünftige Therapien gegen AIDS.
„Wenn wir bereits innerhalb der Wirtszelle die Virusbildung stören, also in einem sehr frühen Stadium angreifen, dann ist das Virus möglicherweise empfindlicher“, erklärt Professor Dr. Hans-Georg Kräusslich, Geschäftsführender Direktor des Hygiene-Instituts und Seniorautor der wissenschaftlichen Arbeit, die im Dezember 2008 in der Fachzeitschrift „Cell Host & Microbe“ veröffentlicht wurde.
Zelle kappt Verbindung zu Viruskapsel
Befallen HI-Viren Zellen des Immunsystems, programmieren sie diese auf „Virusvermehrung“ um. Dazu schleusen sie ihr Erbgut mit allen notwendigen Informationen in die Zelle ein: Von nun an vervielfältigen die Zellen das Erbgut des AIDS-Erregers und produzieren die Bausteine der Virushülle.
Schließlich verlassen die neu gebildeten Viren als kugelförmige Kapsel die Zelle. Dabei kappen zelleigene Proteine – der so genannte Proteinkomplex ESCRT (sprich: escort) – die Verbindung zwischen Viruskapsel und Zelloberfläche.
„Unsere Aufnahmen mit der Kryo-Elektronentomographie zeigen, dass die Kapseln erst zu ca. 60 Prozent fertig gestellt sind, wenn die Viren abgeschnürt werden“, erklärt Kräusslich. Die ESCRT-Proteine greifen also offenbar schon in einem frühen Stadium der Partikelbildung ein. Eine Schwachstelle ist die scheinbar unvollständige Hülle des Virus nicht: Ist das Virus freigesetzt, ordnen sich die vorhandenen Proteine zu einem vollständigen konusförmigen Kapsid um.
Spektakuläre Momentaufnahmen
Momentaufnahmen dieser molekularen Vorgängen sind in dieser Form nur mit der Kryo-Elektronentomographie möglich: Durch das blitzartige Einfrieren auf minus 196 Grad Celsius bleibt die räumliche Struktur und Anordnung aller Zellbestandteile vollständig erhalten. Die Untersuchungsobjekte bleiben unverfälscht – chemische Vorbehandlungen, Anfärben oder Dünnschnitte sind nicht notwendig.
Im Elektronenmikroskop wird das Objekt aus verschiedenen Richtungen durchstrahlt; ein dreidimensionales Struktur-Modell mit einer Auflösung von wenigen Nanometern, also Millionstel Millimetern, entsteht. Die Kryo-Elektronentomographie für diese Arbeit wurde unter der Leitung von Dr. Kay Grünewald vom Max Planck Institut für Biochemie in Martinsried
durchgeführt.
(Universitätsklinikum Heidelberg, 22.12.2008 – NPO)