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Ökologie

Kaltwasserkorallen „speien“ Zucker

Rätsel um Unterwasserwelten gelöst

Münchener Wissenschaftler haben wichtige neue Erkenntnisse über die faszinierenden Unterwasserwelten in den Korallenriffe vorgelegt. Sie konnten beweisen, dass nicht nur die tropischen Warmwasserkorallen sondern auch die ungewöhnlichen Kaltwasserkorallen kontinuierlich organisches Material in Form von Schleimen und Zuckern ins Wasser abgeben. Dadurch wird die Aktivität der Mikroorganismen in diesem Ökosystem entscheidend beeinflusst.

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Weitere Wissenslücken könnten zudem mit Hilfe einer anderen Studie geschlossen werden. Die Forscher haben darin eine Methode zur Vermessung der Oberfläche von Korallen entwickelt, bei der – anders als bei den sonst üblichen Verfahren – das empfindliche Gewebe nicht geschädigt wird. Die Forscher der Universität München (LMU) berichten über ihre Ergebnisse in den Fachzeitschriften „Coral Reefs“ und „Marine Ecology Progress Series“.

Regenwälder der Meere

Durch die Benennung des Jahres 2008 als 2. Internationales Jahr des Riffs sollte die öffentliche Aufmerksamkeit verstärkt auf die Korallenriffe als außerordentlich wichtige Ökosysteme gelenkt werden. Die zum Teil gigantischen Riffe werden von Nesseltieren gebildet und bieten selbst wieder einer ganzen Reihe verschiedener Arten einen Lebensraum.

Tropische Korallenriffe etwa werden häufig als Regenwälder der Meere bezeichnet, weil sie unter anderem Seesternen, Schwämmen, Krebstieren, Fischen und Muscheln Lebensraum bieten. Daneben beherbergen sie auch eine Reihe von Mikroorganismen, zum Beispiel Bakterien, Viren und Einzeller. Doch Korallenriffe sind stark gefährdet, unter anderem durch die Klimaerwärmung und bestimmte Techniken der Fischerei, die die empfindlichen Nesseltiere beschädigen können. An der LMU beschäftigen sich gleich mehrere Forscherteams mit diesen wichtigen Ökosystemen, die als Lebensraum bei weitem noch nicht verstanden sind.

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Überleben bei 4°C

Vor allem die Kaltwasserkorallen, die bis vor zehn Jahren nahezu unbekannt waren, sind vergleichsweise wenig erforscht. Kaltwasserkorallen leben bei Wassertemperaturen von vier bis zehn Grad Celsius und sind in Wassertiefen von hundert bis zu mehreren tausend Metern zuhause. Nur wenige Labore weltweit sind in der Lage, die Tiefseetiere im Aquarium zu halten, so dass ihre Erforschung entsprechend aufwendig ist.

Wissenschaftlern um Christian Wild am GeoBio-Center der LMU, ist es nun erstmals gelungen, die Wechselwirkung zwischen Kaltwasserkorallen und den Lebensformen ihrer Umgebung genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie fanden bei der Arbeit in einem Aquarium der norwegischen Universität Bergen heraus, dass die Nesseltiere große Mengen organischen Materials absondern und zwar sogar in ähnlichem Umfang wie ihre Verwandten in tropischen Gewässern.

Kaltwasserkorallen als Riffarchitekten

Diese Substanzen sind nährstoffreich und dienen einer Reihe von Mikroorganismen als Nahrungsgrundlage. So wiesen Wild und sein Team durch Analysen vor Ort im norwegischen Røst Riff nach, dass die Aktivität der Mikroorganismen in direkter Nähe zum Korallenriff zehn Mal so hoch ist wie in der Wassersäule oberhalb des Riffs. Dadurch werden wiederum Stoffwechselkreisläufe in Gang gesetzt, die beeinflussen könnten, an welchen Stellen des Riffs sich welche Lebewesen ansiedeln.

„Man kann die Kaltwasserkorallen als Riffarchitekten bezeichnen“, erläutert Wild. „Denn sie bestimmen eine ganze Reihe von Eigenschaften und Prozessen der tiefen Riffe. Dadurch tragen sie wesentlich zum Funktionieren des gesamten Riffökosystems bei.“

Durch den Klimawandel und die Einwirkungen des Menschen sind die sensiblen Ökosysteme jedoch stark gefährdet. So trägt die Übersäuerung der Meere dazu bei, das empfindliche Kalkgerüst der Korallen zu zerstören, durch die Fischerei mit Schleppnetzen oder das Verlegen von Ölleitungen werden immer wieder Teile der Riffe zertrümmert.

„Das genaue Verständnis der ökologischen Prozesse in den Kaltwasserkorallenriffen ist daher ein entscheidender Faktor, um diese Ökosysteme schnell und wirksam unter Schutz zu stellen“, betont Wild.

Auf der Suche nach einer neuen Methode

Ein wichtiger Parameter für die Aufklärung der biophysikalischen Prozesse in den Riffen ist die Oberfläche der Korallen. Diese dient als Bezugsgröße, um die Photosyntheserate, Nährstoffkreisläufe oder die Wachstumsrate der Korallen zu bestimmen. Bislang konnte sie oft nur mit Hilfe aufwendiger Methoden bestimmt werden, bei denen die Korallenarme in Wachs getaucht oder mit Alufolie umwickelt wurden, was meist zum Absterben der Korallen führte.

Nicht-invasive Methoden, bei denen geometrische Modelle zur Bestimmung der Oberfläche eingesetzt werden, vermeiden zwar eine Beschädigung der Korallen, sind dafür jedoch relativ ungenau.

Korallen im CT

Nun hat ein Team um den Biologen Christian Laforsch am Department Biologie II der LMU ein Verfahren entwickelt, mit dem sich die Oberfläche der Korallen sehr genau bestimmen lässt, ohne sie zu beschädigen.

Bei der neuen Methode, die in Zusammenarbeit mit der CORE- Arbeitsgruppe um Wild und Wissenschaftlern am Institut für klinische Radiologie der Medizinischen Fakultät der LMU entwickelt wurde, werden mit Hilfe der Computertomographie (CT) Querschnittsbilder des Korallenskeletts erstellt. Auf diese Weise gelang es den Forschern, auch lebende Korallen zu untersuchen.

Aquarium aus Akryl

Diese wurden in einem Aquarium aus Akryl in den CT-Scanner gefahren, wodurch eine Verfälschung des Messergebnisses durch den Wasserbehälter vermieden werden konnte. Dank der modernen Computertechnik erstellten die Forscher anschließend ein 3D-Modell der Korallenstruktur.

„Das Skelett der Korallen ist nur von einer dünnen Gewebeschicht umgeben“, erklärt Laforsch. „Deshalb kann die Oberfläche des Kalkskeletts im Wesentlichen mit der Korallenoberfläche gleichgesetzt werden.“

Oberfläche von Korallen berechnen

Mit der neuen Technik lassen sich selbst feinste Strukturen der Korallen dreidimensional darstellen. „Die Methode ist mit Abstand die genaueste, die im Moment existiert“, sagt Laforsch. „Sie bietet uns in Zukunft die Möglichkeit, die Oberfläche jeglicher Korallenart und -wuchsform zu berechnen.“

Somit könnte das Verfahren auch bei der zukünftigen Erforschung der Kaltwasserkorallen wie auch ihrer Verwandten in tropischen Gewässern genutzt werden. Weitere Studien sind bereits in Planung. So wollen Wild und sein Team in einem neuen Projekt die biologischen und geochemischen Prozesse in den Kaltwasserkorallenriffs nun detaillierter untersuchen.

(idw – Universität München, 15.12.2008 – DLO)

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