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Paläontologie

Eiszeitriesen eroberten Europa früher

Fellnashörner lebten schon vor 460.000 Jahren am Fuß des Kyffhäusergebirges

Fellnashorn (künstlerische Rekonstruktion) © Dionisio Álvarez

Ein gerade untersuchter Schädel des ältesten Fellnashornfunds in Europa belegt, dass die Eiszeitriesen sehr viel früher als bisher vermutet in Mitteleuropa unterwegs waren. Die zotteligen Tiere, die zwei beeindruckend lange Hörner auf ihrem Vorderschädel trugen, weideten schon vor 460.000 Jahren am Fuß des Kyffhäusergebirges, das damals kahl und unbewaldet aus der weiten Ebene Nordthüringens ragte. Zu der Zeit war es eiskalt und die Temperaturen sowie die Luftfeuchtigkeit lagen deutlich niedriger als heute.

„Dies ist das älteste Fellnashorn Europas“, sagt Ralf-Dietrich Kahlke vom Forschungsinstitut Senckenberg. „Mit dem Fund können wir erstmals exakt die Entstehung einer Kaltzeitfauna datieren, die sich fast über den gesamten asiatischen und europäischen Raum verbreitetet hat. Das Besondere daran ist, dass die für die Eiszeit typischen Säugetierarten unter den damaligen Klimabedingungen Kontinent übergreifend auftraten. Das gab es zu keiner anderen Zeit“, erklärt der Paläontologe die Bedeutung des Fundes.

Einförmige Graslandschaft

Nur wenige Kilometer vom Fundort entfernt befand sich nach Angaben der Wissenschaftler die Stirn eines Gletschers, der sich während der Elster-Eiszeit von Skandinavien aus in Richtung Südwesten ausgedehnt hatte und langsam über die einförmige Graslandschaft schob. Doch in der so genannten Mammutsteppe konnten gut angepasste Kreaturen wie Mammuts, Rentiere, Moschusochsen und andere Kaltzeittiere überleben und fanden hier die passende Nahrung.

Der einheitliche Vegetationstyp, der sich unter extremen Klimabedingungen entwickelt hatte, zog sich einst von den Küsten des Polarmeeres bis zum Pazifik und reichte im Westen bis nach Mitteleuropa.

Coelodonta tologoijensis: Schädel vom Fuß des Kyffhäusergebirges bei Bad Frankenhausen © © Forschungsinstitut Senckenberg

Schädel bereits vor 100 Jahren entdeckt

Der Schädel des Fellnashorns war schon vor etwa hundert Jahren am Fuß des Kyffhäusers entdeckt und in mehr als 50 Fragmenten aus einer Kiesgrube bei Bad Frankenhausen geborgen worden. Zwei Monate lang haben jetzt die Senckenberg-Präparatoren in Weimar in präziser Detailarbeit die vielen Einzelteile zum heute weltweit vollständigsten Coelodonta tologoijensis zusammengesetzt.

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Nun ist der rekonstruierte Schädel der erste Nachweis dafür, dass diese Fellnashornart bereits vor der ersten Vereisung bis nach Europa gelangt war. Als das Tier vor rund 460.000 Jahren verendete, war es etwa zwölf Jahre alt. Es starb in einem Schmelzwasserdelta, das sich vor dem Inlandgletscher gebildet hatte, der bis nach Mitteldeutschland vorgerückt war.

Extrem schwankende Temperaturen

Die Vorfahren des eiszeitlichen Großsäugers entstanden zirka zwei Millionen Jahre früher im nördlichen Vorland des Himalaja. Über einen langen Zeitraum haben die frühen Vertreter der Gattung Coelodonta ausschließlich in dem rund 6.000 Kilometer entfernten zentralchinesischen Raum und östlich des Baikalsees gelebt, so die Forscher.

Das zu der Zeit dort herrschende Klima war durch kontinentale Trockenheit und jahreszeitlich extrem schwankende Temperaturen geprägt, so dass schon die zentralasiatischen Urahnen des Frankenhäuser Fellnashorns an harte Steppennahrung angepasst und auch bestens gegen winterliche Kälte gerüstet waren.

Untersuchung eines Fellnashornschädels, R.-D. Kahlke (l), F. Lacombat (r) © Forschungsinstitut Senckenberg

Rasenmäherartiges Maul

In der Senckenberg-Studie über das älteste Fellnashorn aus der mitteleuropäischen Mammutsteppe weisen Kahlke und Frédéric Lacombat nach, dass Fellnashörner ihre früh erworbenen Fähigkeiten kontinuierlich an die Bedingungen ihres Lebensraums angepasst und über viele Jahrhunderttausende hinweg konsequent perfektioniert haben.

Zwei Millionen Jahre zuvor stand auf dem Speiseplan von Coelodonta noch eine eher gemischte Nahrung, zu der auch die Blätter von Sträuchern und Bäumen gehörten. Da die Landschaft in der folgenden, zunehmend kälter werdenden Periode versteppte, haben sich die Tiere allmählich zu Topspezialisten für die Beweidung niedriger, am Boden wachsender Steppennahrung entwickelt.

„Die Analyse des Frankenhäuser Fundes zeigt, dass Coelodonta tologoijensis den Kopf tief über dem Boden trug und ein rasenmäherartiges Maul mit einem massiven Mahlgebiss besaß. Damit konnte es das unter diesen Klimabedingungen vorhandene Nahrungsangebot effizient nutzen“, erläutert Kahlke die enorme Anpassungsleistung der Fellnashörner.

Waffe und Werkzeug

Kahlke und Lacombat haben eine Vielzahl überlieferter Schädel der Eiszeitriesen aus etlichen Fundstellen in Asien und Europa untersucht. Facettenartige Abnutzungsspuren an den beeindruckend großen Vorderhörnern aus Permafrostböden zeigen, dass die Fellnashörner ihr Statussymbol nicht nur als Waffe gegen andere große Vertreter der Eiszeitfauna eingesetzt haben, sondern auch bei der Nahrungsaufnahme als Werkzeug verwendeten.

(idw – Forschungsinstitut und Naturmuseum Senckenberg, 12.11.2008 – DLO)

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