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Technik

Schallschutzschirm für Musiker

Wissenschaftler lösen Lärmproblem von Orchestermitgliedern

Der neue Schallschutzschirm besteht aus einer Plexiglasfläche, die im oberen Teil um 45° geneigt ist und so den Schall nach oben leitet. Um Reflexionen zu vermeiden, müssen alle Flächen unterhalb des Sichtbereiches mit Absorbermaterial bedeckt sein. © PTB

„Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden“, lästerte Wilhelm Busch. Die Musiker selber haben noch ein ganz anderes Problem: Sie gefährden mit der eigenen Musik ihre Ohren. In einer Wagner-Oper können Werte von 120 Dezibel (dB) und mehr erreicht werden. Braunschweiger Wissenschaftler haben nun eine Lösung für dieses Lärmproblem gefunden. Sie entwickelten einen Schallschutzschirm, der im kritischen Bereich oberhalb von 250 Hertz den Schallpegel am Ohr des Musikers um bis zu 20 dB senkt und mit wenig Aufwand nachgebaut werden kann.

An der Wand von Ingolf Borks Büro hängt ein Cartoon: Ein komplettes Sinfonieorchester samt Dirigent liegt am Boden, überall sind Instrumente und Noten verstreut – nur drei Posaunisten sitzen auf ihren Stühlen und schauen harmlos daher. Der Untertitel empfiehlt allen Dirigenten, die Posaunisten doch lieber nicht um mehr Lautstärke zu bitten.

„Zwar haut es in der Realität nur selten die Spieler von den Hockern“, lächelt Bork, Tonmeister, Pianist und Ingenieur in der Arbeitsgruppe Geräuschmesstechnik der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), „aber die Schallpegelwerte, die im Sinfonieorchester an der Tagesordnung sind, können zur Gefahr für die Ohren der Musiker werden – vor allem für diejenigen, die vor den Blechbläsern sitzen.“

Schalldruckpegel überschreiten kritische Werte

Nach verschiedenen Untersuchungen, beispielsweise von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, liegt der durchschnittliche Lärmpegel in Symphonie- und Opernorchestern zwischen 80 dB(A)und 100 dB(A). Damit sind, so die Bundesanstalt „Orchestermusiker in ihrem Arbeitsalltag Schalldruckpegeln ausgesetzt, die geeignet sind, Gehörschäden zu verursachen.“ Immerhin ist ein Pegel von 85 dB so laut, dass man sich nur mehr schreiend verständigen kann.

Laut der EG-Arbeitsschutzrichtlinie 2003/10/EG müssen aber bereits dann Lärmschutzmaßnahmen eingesetzt werden, wenn der so genannte Tageslärmexpositonspegel – das ist ein über acht Stunden gemittelter Wert – 80 dB überschreitet. Aber obwohl die Vorschrift seit dem 15. Februar 2008 für alle Orchestermusiker gilt, hapert es oftmals an ihrer Umsetzung. „Es gab bis jetzt einfach keine annehmbare Lösung für das Lärmproblem“, erklärt Bork.

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Gehörschäden weit verbreitet

Auch wenn niemand von ihnen gerne darüber spricht, so haben viele Musiker, vor allem Schlagzeuger, Blech- und Holzbläser, die Gefahr schon kennengelernt. Nach einer Studie der Universität Gießen sind selbst unter Amateur-Musikern Gehörschäden weit verbreitet: Bei 1.300 untersuchten Personen wiesen 27 Prozent der Männer und 17 Prozent der Frauen Gehörschäden auf.

Allerdings hat dieselbe Studie gezeigt, dass das Problem nicht so einfach zu fassen ist: Orgelstimmer, die ebenfalls längere Zeit Lärmpegel von rund 90 dB aushalten müssen, hatten durchweg ein besonders gutes Gehör. Die Forscher folgern, schlimmer für das Gehör könnten kurzzeitig hohe Lärmpegel sein. Aber die sind in einem Orchester auch nicht zu vermeiden.

„Wir haben den Schallpegel während einer ganzen ‚Walküre‘ gemessen“, sagt Bork. Die Spitzenwerte, die sie dabei maßen, lagen bei 114 dB(A), das heißt bei normaler A-Gewichtung der mittleren Frequenzen, und sogar bei 130 dB(C), wenn auch die absoluten Spitzenwerte des gemessenen Schalldrucks LCpeak berücksichtigt werden.

Wagner nur noch leise?

Sollte man also Wagner, Bruckner oder Strauss deshalb nicht so laut spielen? Einen solchen Vorschlag würde sich jeder Dirigent verbitten. Und auch die Musiker verteidigen in der Regel die Freiheit der Kunst. Sorgen haben sie dennoch. Bei einer Befragung, die der Freiburger Musikermediziner Bernhard Richter im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales im Jahr 2008 bei 429 Orchestermitgliedern aus neun professionellen Orchestern durchführte, gaben immerhin zwei Drittel aller Musiker an, Angst um ihr Gehör zu haben.

Trotzdem sind Schutzvorrichtungen wenig verbreitet. Gerade die einfachste, billigste und bisher fast als einzige auch brauchbare von ihnen, ein individuell angepasster Gehörschutz, genießt kein hohes Ansehen. Nur etwas mehr als 16 Prozent der befragten Musiker verwenden ihn. Zwar mindert ein solcher Gehörschutz die Lautstärke gleichmäßig über alle Tonhöhen hinweg, anders als bei billigen Ohrstöpseln aus der Apotheke, die vor allem hohe Töne dämpfen. „Aber auch die ‚guten‘ Stöpsel unterscheiden nicht zwischen Musik und Sprache, und so verstehen die Musiker bei den Proben ihren Dirigenten nicht mehr“, erklärt Bork.

Bisherige Modelle nicht ausgereift

Bei Bläsern kommt ein weiteres Problem hinzu: Mit einem solchen Ohrstöpsel hört man mehr Körperschall als zuvor. Der Schall pflanzt sich vom Instrument, das per Mundstück oder Rohrblatt an oder zwischen den Lippen sitzt, über die eigenen Knochen fort – der Spieler kann seinen Ton nicht mehr so kontrollieren wie gewohnt. „Ein Schallschutzschild ist da schon besser“, so Bork. „Aber die Modelle, die Sie kaufen können, sind meist nicht ausgereift. Einige werfen den Schall direkt zum Spieler zurück. So ein Direktschall tut richtig weh.“

Der neue PTB-Schirm dagegen, den Bork entwickelt hat, ist im oberen Teil geknickt und leitet den Schall über den Kopf des vorne sitzenden Spielers nach oben hinweg. „Außerdem sind die kommerziellen Schirme viel zu klein. Da wandert der Schall ziemlich problemlos herum und die Schutzwirkung ist fast Null“, erklärt Bork. In ganz schlimmen Fällen fangen die gekrümmten Modelle sogar den Schall der Kollegen oder den eigenen Schall wie in einem Brennglas ein, und das Lärmproblem wird schlimmer statt besser.

Nachbauen erlaubt

Bork hat seinen Schirm daher groß gehalten. „Am besten stellen Sie mehrere davon dicht an dicht, ohne Lücke vor der Blechbläser-Riege etwa im Abstand von 50 Zentimeter auf“, rät er. Und weiter: „Unser Prototyp ist nicht patentiert, weil wir keine besonderen Materialien oder ähnliches eingesetzt, sondern nur grundsätzliche Zusammenhänge untersucht haben“, erklärt Bork.

Das hat den Vorteil, dass ihn nun jeder leicht nachbauen kann. „Jede Bühnenbauwerkstatt hat die Möglichkeiten dazu. Aber der Schallschutzschirm wirkt nur, wenn er den individuellen Gegebenheiten des Probenraumes oder des Orchestergrabens angepasst ist“, betont Bork. Wer weiß, vielleicht findet sich auch eine Produktionsfirma und wirft den PTB-Schirm auf den Markt. Dann wäre der erfolgreiche Technologietransfer komplett.

(idw – Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), 11.11.2008 – DLO)

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