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Astronomie

„Rückgrat“ des Universums vermessen

Kartierung der räumlichen Verteilung der sichtbaren Materie

Galaxienhaufen © MPI für extraterrestrische Physik

Galaxienhaufen sind die größten, klar definierbaren Gebilde im Universum. Sie enthalten zwischen mehreren Hundert bis vielen Tausend von Galaxien und bilden die dichtesten Gebiete in der großräumigen Struktur des Universums. Die Haufen gelten daher auch als das „Rückgrat“ in der Struktur des Kosmos. Astronomen haben jetzt erstmals einen Atlas dieses „Rückgrats veröffentlicht.

Das Team von deutschen, italienischen und britischen Astrophysikern unter Leitung von Hans Böhringer vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching hat in jahrelangen Studien diese kosmischen „Marksteine“ identifiziert, um die großräumige Verteilung der Materie im Universum zu vermessen. Jetzt haben die Astronomen das Kernstück des Galaxienhaufen-Katalogs veröffentlicht, die REFLEX-Stichprobe (Rosat-ESO-Flux-Limited X-ray Cluster Survey) der 447 hellsten Galaxienhaufen am Südhimmel im Röntgenlicht.

Da Galaxienhaufen sehr prominente Quellen von Röntgenstrahlung sind, nutzen die Wissenschaftler den mit Hilfe des deutschen Röntgensatelliten ROSAT erstellten Himmelsatlas im Röntgenbereich als Ausgangspunkt. Kombiniert mit optischen Himmelsdurchmusterungen lieferte dieser Atlas eine erste Liste möglicher Galaxienhaufen. Ihre entgültige Identifikation sowie die Bestimmung ihrer Entfernung über die Rotverschiebung erfolgte in den vergangenen zwölf Jahren in einem aufwändigen Beobachtungsprogramm der Europäischen Südsternwarte (ESO). Für die ergänzende Inventur am Nordhimmel nutzten die Wissenschaftler sowohl das deutsch-spanische Observatorium auf dem Calar Alto in Spanien als auch Beobachtungen in den USA in Zusammenarbeit mit dem Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics, USA. Mehr als 1.400 Galaxienhaufen konnten auf diese Weise bisher kartiert werden.

Geklumpte Haufen im Kosmos

Das jetzt veröffentlichte Kernstück des Galaxienhaufen-Katalogs, die REFLEX-Stichprobe (Rosat-ESO-Flux-Limited X-ray Cluster Survey) zeigt die 447 röntgenhellsten Galaxienhaufen am Südhimmel. Sie bilden heute die kompletteste Stichprobe von Galaxienhaufen und eignen sich besonders gut für weitere kosmologische Studien. Die Verteilung der Galaxienhaufen der gesamten Stichprobe zeigt, dass die Galaxienhaufen nicht gleichmäßig im Weltraum verteilt sind, sondern sich in deutlichen, sehr weitgespannte Strukturen konzentrieren. Die dichtesten Gebiete werden als „Superhaufen“ klassifiziert. Diese sind ein fossiles Zeugnis der frühesten Strukturen des Universums, die in der so genannten inflationären Periode entstanden sind.

Die „Verklumpung“ in der räumlichen Verteilung der Galaxienhaufen kann man mathematisch charakterisieren, zum Beispiel durch ein Leistungsspektrum der Dichteschwankungen in der Haufenverteilung, und mit analogen Maßen aus kosmologischen Modellrechnungen vergleichen, um zu testen, ob solche Modelle mit den Beobachtungen vereinbar sind. Derartige Tests führten die Wissenschaftler auch mit der REFLEX-Haufenstichprobe durch. Sie zeigen als eines der wichtigsten Ergebnisse eine niedrige Massendichte des Universums, charakterisiert durch einen Dichteparameter Omega zwischen 0.27 und 0.43.

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Galaxienhaufen als Test für Theorien

Diese Ergebnisse stützen das Modell der „neuen Kosmologie“, das von einer beschleunigten Expansion des Universums ausgeht und das hauptsächlich in den vergangenen fünf Jahren aufgestellt wurde. Die Kartierung der Galaxienhaufen liefert komplementäre Information zu anderen kosmologischen Beobachtungen. Während die Beobachtung des kosmischen Mikrowellenhindergrundes einen Schnappschuss des Universums etwa 300.000 Jahre nach dem Urknall vermittelt, zeigt die Verteilung der Galaxienhaufen die Struktur der Materieverteilung im heutigen Universum.

Die Stärke der Tests kosmologischer Modelle liegt daher im gleichzeitigen Vergleich dieser Beobachtungen mit der Theorie. Nimmt man beispielsweise die Beobachtungsergebnisse an Galaxienhaufen zusammen mit jenen an entfernten Supernovae, so erhärtet sich der Befund eines beschleunigt expandierenden Universums. Dies wird auf die Wirkung der Dunklen Energie zurückgeführt. Die REFLEX-Studie dient nun als Wegweiser für weitergehende Projekte, wie die von der NASA bereits in Stufe A bewilligte Röntgensatellitenmission „DUO“ (Dark Universe Observatory), die ganz darauf ausgerichtet ist, kosmologische Parameter zu messen und die Rolle der Dunklen Energie mit Hilfe einer Galaxienhaufendurchmusterung zu klären.

Einsatz als „Vielzweckwerkzeug“

Darüber hinaus bietet der REFLEX-Katalog eine statistisch präzise ausgewählte Stichprobe von Galaxienhaufen für die astronomische Gemeinschaft, die für die verschiedensten Studien genutzt werden kann. Galaxienhaufen dienen beispielsweise als Laboratorien, um die Wechselwirkung sich bildender Galaxien mit ihrer Umgebung durch die Freisetzung von Energie während der Sternbildung zu untersuchen. Galaxienhaufen wirken auch als Gravitationslinsen, in der die große Masse der Galaxienhaufen das Licht entfernter Galaxien wie eine Linse bündeln und verstärken kann und in verzerrten bogenförmigen Bildern wiedergibt.

Während man diese Prozesse in einigen Galaxienhaufen bereits im Detail studiert hat, bietet der neue Galaxienhaufenkatalog die Grundlage, solche Eigenschaften systematisch für eine ganze Haufenpopulation zu untersuchen. Hans Böhringer, Leiter der Studie, sagt dazu: „Das Ziel von Himmelsdurchmusterungen ist es eben, die Einzelteile eines wissenschaftlichen Puzzles zu einem größeren Gesamtbild zusammenzufügen, das uns in diesem Fall die tiefere Bedeutung der Materiestrukturen im Universum erhellen soll.“

(MPG, 25.05.2004 – NPO)

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