Anzeige
Medizin

Neue Zucker für neue Arzneimittel

Nationales Netz zur Erforschung von Zuckern auf Zelloberflächen initiiert

Alle Krankheiten sind Zellkrankheiten. Je mehr wir von Zellen wissen, um so größer wird die Chance, Krankheiten zu bekämpfen. Während in den letzten Jahrzehnten das Interesse der Forscher sich vorrangig auf den Zellkern und seinen Inhalt, das Genom, richtete, das inzwischen weitgehend entziffert ist, folgte logisch darauf die Erforschung des Proteoms, also der Masse der Proteine, die im Zellkörper- dem genetischen Code entsprechend – hergestellt werden.

{1l}

Inzwischen bildet sich – noch weitgehend unbekannt – ein neues großes Forschungsgebiet heraus: Nach Zellkern und Zellkörper rückt nun die Zelloberfläche ins Visier, speziell die dort liegenden zuckerhaltigen Strukturen, die an Proteine und Lipide gekoppelt sind. Ihre Gesamtzahl, das Glykom, übertrifft die des Proteoms um etwa das Vieltausendfache. Die Zuckerverbindungen auf der Zelloberfläche, „Glykane“, kommen universell in Pflanze, Tier und Mensch vor. Sie wirken vor allem als Steuerungsmoleküle. So ermöglichen sie die Erkennung der Zellen untereinander, ihre Kommunikation und die Anheftung von Keimen. Sie regulieren auch die Wanderung von Zellen im Organismus und die Stabilität der Proteine in den Zellen und in den Körperflüssigkeiten. Aus diesen Funktionen folgt ihre Bedeutung bei Krankheiten: Die Veränderung der natürlichen Strukturen der Glykane wirken sich insbesondere bei Krebs, bei Infektionskrankheiten, bei Arteriosklerose und bestimmten Nervenkrankheiten aus.

So finden sich auf der Oberfläche aller bisher untersuchten Krebszellen modifizierte Glykane, die ursächlich an der Wanderung der Krebszellen, also an der Bildung von Metastasen des Tumors, beteiligt sind. Tumorzellen mit veränderten Glykanen werden unkenntlich für die natürlichen Killerzellen des Immunsystems, das sie deshalb nicht vernichten kann.

Glykane spielen auch bei Infektionskrankheiten eine Rolle, bei denen sie als Andockstellen für Viren und Bakterien an die Zelle dienen. Bei akuten und chronischen Entzündungsprozessen leiten Glykane auf Zellen, die die Innenauskleidung der Blutgefäße bilden, die Wanderungsbewegung von Immunzellen (Leukozyten) in entzündete Gewebe ein. Glykane sind durch diese Funktionen beteiligt an arteriosklerotischen Prozessen, bei der Abstoßung von Transplantaten, sowie bei Thrombosen und Autoimmunerkrankungen. Wegen ihrer Bedeutung bei der Anheftung von Keimen im menschlichen Verdauungssystem kann den modifizierten Glykanen zukünftig auch große Bedeutung als Zusatzstoffen von Nahrungsmitteln, also bei sogenanntem „funktional food“ vorausgesagt werden.

Anzeige

Zunehmend werden die verschiedenen Glykane in ihrer Struktur aufgeklärt und der jeder Zelle eigene Glyko-Code in Datenbanken niedergelegt. Die Vielfalt dieser Strukturen und ihre relativ einfache künstliche Abwandlungbilden ein gewaltiges Potential an neuen Arzneimitteln. Solches Unterfangen profitiert allerdings ganz erheblich von den molekularbiologischen Verfahren, die im Laufe der Genom- und Proteomforschung entwickelt worden sind, so auch von den Bereichen der Bioinformatik und des Tissue Engineering.

Immerhin gibt es bereits Medikamente auf dem Markt, die als Produkte der Glykanforschung die Grundlagen- und die angewandte Forschung hinter sich gelassen haben und den Markt erobern. Dazu gehören beispielsweise die zur Thromboseprophylaxe eingesetzten „Heparine“ mit Milliarden Euro Umsätzen im Jahr oder „Acarbose“, ein Mittel zu Behandlung des Diabetes, oder die neuen Grippemittel“Zamvir“ und „Relenza“.

Vor diesem Hintergrund haben sich die Charité-Wissenschaftler Professor Werner Reutter vom „Institut für Molekularbiologie und Biochemie“ und Professor Rudolf Tauber vom „Institut für Klinische Chemie und Pathobiochmie“, die auch zusammen mit anderen Forschern ein US-Patent für rekombinante Glykoproteine besitzen, darangemacht, ein Netzwerk aufzubauen, das die nationalen Kräfte auf dem Gebiet der Glyconomics in Deutschland bündeln soll. Das Netzwerk soll Universitätsinstitute in Berlin, Bonn, Hamburg, Mainz und Potsdam mit nicht-universitären Forschungszentren wie dem Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, dem Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin, der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung in Braunschweig, sowie dem Forschungszentrum Borstel und dem Deutschen Rheumaforschungszentrum in Berlin vereinen und mit forschenden Unternehmen aus den Bereichen Pharma, Lebensmittel und Biotetechnologiezusammenführen.

(Charité-Universitätsmedizin Berlin, 24.05.2004 – NPO)

Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

News des Tages

Gezüchtete Diamanten

Erste Diamanten unter Normaldruck erzeugt

Neuer Stammbaum für die Blütenpflanzen

Könnte dieses Riesenvirus zum Heilmittel werden?

Wie lebten die Awaren?

Diaschauen zum Thema

keine Diaschauen verknüpft

Dossiers zum Thema

keine Dossiers verknüpft

Bücher zum Thema

keine Buchtipps verknüpft

Top-Clicks der Woche