Schweizer Forscher sagen die Existenz einer Scheibe aus dunkler Materie in unserer Galaxie, der Milchstraße, voraus. Wie die Astronomen in der Fachzeitschrift „Monthly Notices of the Royal Astronomical Society“ berichten, könnte dies zum ersten Mal ermöglichen, dunkle Materie nachzuweisen und deren Beschaffenheit zu klären.
Anders als die bekannte, „gewöhnliche“ Materie, aus der Gas und Sterne bestehen, ist die dunkle Materie unsichtbar. Ihre Anwesenheit kann nur durch ihren Gravitationseinfluss auf die Umwelt nachgewiesen werden. Physiker glauben, dass sie 22 Prozent der Materie im Universum ausmacht verglichen mit vier Prozent gewöhnlicher Materie und 74 Prozent der so genannten dunklen Energie.
Trotz ihres omnipräsenten Einflusses weiß niemand, woraus dunkle Materie genau besteht. Bisher dachte man, dass dunkle Materie annähernd kugelförmige Klumpen, so genannte Halos bildet, von denen eines unsere Galaxie umgibt. Diese Standardtheorie basiert auf Supercomputersimulationen, die nur die Gravitationseinflüsse der dunklen Materie modellieren.
Eine Scheibe aus Sternen und Gas
Im Gegensatz dazu haben die Astronomen Justin Read, Professor George Lake, Oscar Agertz, alle von der Universität Zürich, und Victor Debattista von der Universität Central Lancashire in ihrer Studie auch die Einflüsse der Gravitationskraft der Sterne und des Gases berücksichtigt, die ebenfalls unsere Milchstraße bevölkern.
Angenommen wird, dass Sterne und Gas schon frühzeitig eine Scheibe bilden, die dann die Entstehung kleinerer Halos aus dunkler Materie beeinflussen. Die Ergebnisse des Forschungsteams deuten darauf hin, dass die meisten Klumpen dunkler Materie in unserer Umgebung zum Halo um unsere Milchstraße verschmelzen. Die größten von ihnen werden bevorzugt von der galaktischen Scheibe angezogen und dort auseinander gerissen, wo sie eine Scheibe aus dunkler Materie in unserer Galaxie formen.
Wie in einem Wagen auf der Autobahn
„Die dunkle Scheibe hat ungefähr eine halb so große Dichte wie das dunkle Halo. Daher wurde sie bisher nicht entdeckt“, sagt Read. „Trotz ihrer geringen Dichte hat sie jedoch
wegen ihrer eigenen Rotation einschneidende Auswirkungen auf die Detektion von dunkler Materie hier auf der Erde.“
Erde und Sonne bewegen sich mit circa 220 Kilometer pro Stunde auf einer fast kreisförmigen Umlaufbahn um das Zentrum unserer Galaxie. Da das dunkle Halo nicht rotiert, ist es für uns auf der Erde so, als ob wir einen Wind dunkler Materie spüren, der mit großer Geschwindigkeit auf uns zu fliegt. Im Gegensatz dazu ist der Wind der dunklen Scheibe sehr viel geringer, da die Scheibe quasi mit der Erde zusammen rotiert.
„Es ist als säße man in einem Wagen auf der Autobahn“, sagt Debattista. „Es fühlt sich an, als ob alle anderen Autos stillstehen würden, weil sie sich mit der gleichen Geschwindigkeit bewegen.“
Entdeckung der dunklen Materie rückt näher
Diese Fülle von langsamer, dunkler Materie-Teilchen könnte sich für die Forscher als wahrer Segen erweisen, da sie eine viel größere Resonanz bei Detektoren von dunkler Materie hervorruft. „Heutige Detektoren können diese langsamen Teilchen noch nicht vom Hintergrundrauschen unterscheiden“, erklärt Professorin Laura Baudis von der Universität Zürich. Sie ist eine führende Forscherin des XENON-Detektionsexperimentes im unterirdischen Labor Gran Sasso in Italien, mit dem dunkle Materie nachgewiesen werden soll.
„Der XENON100-Detektor dagegen, den wir gerade in Betrieb nehmen, ist sehr viel empfindlicher. Er wird in der Lage sein, die meisten gängigen Teilchenkandidaten der dunklen Materie zu detektieren, wenn es sie gibt.“ Diese neuen Forschungsergebnisse schüren die aufregende Erwartung, dass die dunkle Scheibe – und damit dunkle Materie – in näherer Zukunft entdeckt werden können.
(Universität Zürich, 16.09.2008 – DLO)