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Genetik

Zell-Stress sorgt für Darmentzündungen

Weitere Ursache für Morbus Crohn und Colitis ulcerosa identifiziert

Auf dem Agarose-Gel werden DNA-Stücke eines Patienten aufgetrennt und nach dem Anfärben mit einem Farbstoff unter UV-Licht sichtbar gemacht. Dabei wird die Qualität der DNA-Aufreinigung aus dem Blut der jeweiligen Person überprüft, bevor die Proben eingelagert werden. © CAU / Jürgen Haacks

Genetisch bedingter Stress im Epithel, jener dünnen Zellschicht, die die Grenze darstellt zwischen der Unmenge an Darmbakterien und unserem Immunsystem, ist als eine Ursache für Darmentzündungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa identifiziert worden. Die Wissenschaftler berichten über die Ergebnisse ihrer neuen Studie in der Fachzeitschrift „Cell“.

„Veränderungen im XBP1 Gen führen zu Stress in der Eiweiß-Produktionsstelle der Zelle, dem so genannten endoplasmatischen Retikulum. Die Schleimhaut kann dann nicht mehr richtig mit Darmbakterien und entzündlichen Signalen umgehen“, erklärt Professor Arthur Kaser von der Harvard Universität, der zusammen mit dem Team von Professor Stefan Schreiber von der Universität Kiel für die Untersuchung verantwortlich war.

XBP1 Gen ausgeschaltet

Um die Rolle von XBP1 zu untersuchen, haben die Wissenschaftler um Kaser im Tierversuch dieses Gen ausgeschaltet. Dies führte zu spontaner Darmentzündung, die genauso wie chronisch-entzündliche Darmerkrankungen beim Menschen aussah. Als Mechanismus dahinter stellte sich die Unfähigkeit des Schleimhautepithels heraus, mit Darmbakterien angemessen umzugehen und vor allem adäquat auf entzündliche Reize zu reagieren.

Um zu untersuchen, ob XBP1 ein genetischer Risikofaktor für chronisch entzündliche Darmerkrankungen auch beim Menschen sein könnte, wurden zusammen mit der Universität Kiel über 5.000 Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa und gesunde Personen genetisch analysiert. Dabei konnten Kaser und Andre Franke aus Kiel spezifische Veränderungen am XBP1 Gen identifizieren, die sich dann in weiteren Untersuchungen als tatsächlich funktionell herausstellten: „Es gab in allen Stichproben eine Assoziation zwischen dem Gen und der Krankheit“, so Franke.

MTA Ilona Urbach am Hochdurchsatz- Präparationsroboter mit dem Laborleiter Professor Dr. Andre Franke. Der vollautomatisierte Roboter wiegt mehrere 100 kg und kann am Tag aus bis zu 96 Blutproben (10 ml) die DNA isolieren. Im Klartext heißt das: Blut reinstellen und nach einer Stunde Röhrchen mit DNA herausnehmen. Zuvor erfolgte im Labor die DNA-Isolierung aus den Leukozyten mühselig per Hand. © Universitätsklinikum Schleswig-Holstein / Dieter Herrmann

31 Krankheitsgene bekannt

31 Krankheitsgene, die mit den beiden Darmentzündungskrankheiten in Zusammenhang stehen, waren bereits bekannt. Ein guter Teil davon ist in der Arbeitsgruppe von Schreiber am Institut für Klinische Molekularbiologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein entdeckt worden.

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„Während die anderen Mutationen in drei große Gruppen fallen, haben wir mit ER Stress nun eine vierte Gruppe von Veränderungen beschrieben“, bewertet Schreiber das neue Ergebnis. „Für die Diagnostik ist zudem die Entdeckung seltener Mutationen wie im XBP1 Gen viel interessanter als die meisten der bereits bekannten Genveränderungen, die auch bei einer Menge gesunder Menschen vorhanden sind.“

„Die therapeutischen Implikationen sind beachtlich, weil das Ergebnis uns zum ersten Mal erlaubt, Medikamente für eine neue Klasse von Molekülen zu entwickeln, von denen wir nun wissen, dass sie ein typischer genetischer Risikofaktor für Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind“, ergänzt Professor Richard Blumberg von der Harvard Medical School, Senior-Autor der Studie.

500.000 Menschen allein in Deutschland und Österreich betroffen

In Deutschland und Österreich leiden etwa 500.000 Menschen an den chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Die Symptome sind anhaltender Durchfall und unerträgliche Bauchschmerzen. Neben genetischen Risikofaktoren spielen letztlich noch unbekannte Umweltfaktoren eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Erkrankung.

(idw – Universität zu Kiel, 05.09.2008 – DLO)

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