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Chemie

Enzymfahndung nach dem Aschenputtelprinzip

Neues Verfahren beschleunigt Isolierung maßgeschneiderter Enzyme um den Faktor tausend

Fluoreszierende Bakterien © Harald Kolmar, TU Darmstadt

Wissenschaftler haben ein neues Verfahren entwickelt, das die Isolierung maßgeschneiderter Enzyme für den Einsatz in der Biotechnologie und der Wirkstoffsynthese um den Faktor tausend beschleunigt – mindestens. Dies gelang ihnen, indem sie einzelne Enzym produzierende Bakterien durch Hochgeschwindigkeitszellsortierung isolierten.

Technische Enzyme sind heutzutage allgegenwärtig. Jedes Waschmittel enthält Enzyme, die Schmutzpartikel abbauen. Auch für die Lösung der Energieprobleme der Zukunft werden optimierte Enzyme benötigt, etwa für die Herstellung von Biogas oder Biodiesel aus nachwachsenden Rohstoffen. In der Weißen Biotechnologie steht die industrielle Produktion von organischen Grund- und Feinchemikalien sowie Wirkstoffen im Mittelpunkt. Dort spielen optimierte Enzyme eine zentrale Rolle. Allerdings stellt die Natur nicht für jeden chemischen Syntheseprozess ein optimales Enzym bereit. Daher ist es häufig notwendig, natürliche Enzyme hinsichtlich Aktivität, Selektivität oder Stabilität zu optimieren.

Bakterien als Enzymproduzenten

„Seit vielen Jahren werden Bakterien als Produzenten technischer Enzyme Herangezogen“, erklärt Professor Harald Kolmar vom Institut für Organische Chemie und Biochemie der Technischen Universität (TU) Darmstadt. „Um optimierte Enzyme zu erhalten, werden Grundprinzipien der natürlichen Evolution angewandt, nämlich Mutation und Selektion. Wir führen Mutationen nach dem Zufallsprinzip in Enzymgene ein, lassen Escherichia coli-Bakterien die resultierenden Enzymvarianten produzieren und suchen dann nach Bakterien mit den gewünschten verbesserten Enzymeigenschaften.“

Dies ist bislang ein langwieriger und mühsamer Prozess. Tausende von Mikroorganismen, die jeweils eine andere Enzymvariante produzieren, müssen bisher getrennt kultiviert werden. Um an die Enzymkandidaten zu gelangen, werden die Mikroorganismen zerstört und der Zellinhalt aufgearbeitet. „Wir haben einen genetischen Trick verwendet und Bakterien genetisch so umprogrammiert, dass diese das Enzym der Wahl nicht mehr im Zellinneren, sondern außen auf der Zelloberfläche bereitstellen“, erklärt Kolmar. „Dann können lebende Zellen direkt für einen Enzymtest eingesetzt werden.“

Leuchtende Zellen

Einen zweiten wichtigen Meilenstein erreichten die Wissenschaftlern als es ihnen gelang, die Suchstrategie nach Enzymen mit gewünschten Eigenschaften soweit verbessern, dass die Enzymaktivität einzelner Bakterienzellen analysiert werden kann. Dazu haben die Darmstädter Forscher zusammen mit Kollegen am Forschungszentrum Jülich und am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim ein Verfahren entwickelt, um einzelne Bakterien, die das gewünschte Enzym präsentieren, rasch zu erkennen.

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Hierfür wurden spezielle Enzymsubstrate synthetisiert, die mit einem Fluoreszenzfarbstoff markiert werden können. Wenn das Enzym in der Lage ist, das Substrat umzusetzen, wird das Produkt der Reaktion ebenfalls auf der Oberfläche der enzymatisch aktiven Bakterienzelle fixiert. Damit können enzymatisch aktive Zellen von inaktiven Zellen unterschieden werden, da sie einen Fluoreszenzmarker tragen und nach Lichtanregung Photonen emittieren.

Viele Millionen Bakterienzellen, von denen jede eine etwas andere Enzymvariante trägt, können so einem Enzymtest unterzogen werden. Einige wenige zeigen dann Substrat-Umsatz und Fluoreszenz. „Um an diese wertvollen Bakterien heranzukommen, die das gesuchte Enzym tragen, verwenden wir ein Hochgeschwindigkeitszellsortiergerät“, erklärt Kolmar. Bakterien werden dort in Wasser aufgenommen und durch eine Düse geschossen. Die einzelnen Wassertröpfchen mit eingeschlossenem Bakterium fliegen dann an einem Hochleistungslaserstrahl vorbei. Befindet sich ein fluoreszierendes Bakterium im Tröpfchen, emittiert dieses Photonen und zeigt damit die gesuchte Enzymaktivität an.

Das Aschenputtelprinzip

Solche Bakterien werden elektrostatisch aufgeladen, damit aus ihrer Flugbahn abgelenkt und eingesammelt. Nicht fluoreszierende Bakterien landen im Abfall. „Wir nennen diesen Vorgang das Aschenputtelprinzip: die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Allerdings sind wir deutlich schneller als Aschenputtels Tauben. Hunderttausend einzelne Bakterien und damit hunderttausend Enzymkandidaten können in einer Sekunde analysiert werden. An einem Arbeitstag werden daher bis zu 100 Millionen Enzymkandidaten durchmustert. Bisherige Verfahren konnten lediglich mit einigen tausend bis einigen zehntausend Kandidaten arbeiten“, so Kolmar.

In der nächsten Ausgabe der Zeitschrift „Angewandte Chemie“ berichten die Darmstädter Biochemiker über dieses Verfahren, das sie erstmals auf die Optimierung eines Ester spaltenden Enzyms angewandt haben. In einer einzigen Runde von Hochgeschwindigkeitssortierung von 100 Millionen Zellen gelang es, gewünschte Enzymvarianten zu isolieren.

(idw – Technische Universität Darmstadt, 11.06.2008 – DLO)

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