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Neurobiologie

Gehirn: Mikrogliazellen als Dr. Jekyll und Mr. Hide

Makrophagen mit Schutzfunktion nach Schlaganfall

Unser Gehirn ist normalerweise gut gegen das Immunsystem des eigenen Körpers abgegrenzt. Doch nach einem Schlaganfall können Immunzellen aus dem Blut dorthin gelangen und töten Nervenzellen in dem betroffenen Gebiet. Wie Forscher jetzt herausgefunden haben, besitzt das Nervensystem so genannte Makrophagen, um dem Einhalt zu gebieten. Sie erkennen die Eindringlinge und machen sie unschädlich, obwohl es sich um körpereigene Zellen handelt. Bei der Entwicklung anti-entzündlicher Medikamente muss dieser neue Mechanismus beachtet werden, so die Wissenschaftler.

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In den westlichen Industrieländern ist der Schlaganfall die dritthäufigste Todesursache und häufigster Grund für schwere Behinderungen. Allein in Deutschland trifft er etwa 250.000 Menschen jährlich. Lässt sich der Verlust von Nervenzellen beim Schlaganfall aufhalten? Der Einsatz schützender Substanzen mit dem Ziel, minderdurchblutete Hirnareale vor dem Zelltod zu bewahren und dem fortschreitenden Zellverlust entgegenzuwirken, erwies sich bisher kaum als erfolgreich. Möglicherweise gibt es aber hirneigene Schutzmechanismen, deren Verständnis neue Wege eröffnet.

Immunprivileg des Gehirns

Es ist allgemein bekannt, dass das Nervensystem durch ein so genanntes Immunprivileg geschützt wird, wodurch Entzündungsreaktionen verhindert werden. Dies wird beispielsweise durch die Blut-Hirn-Schranke gewährleistet. Im Nervensystem übernehmen vor allem Mikroglia-Zellen, die so genannten „Makrophagen des Gehirns“, die Immunabwehr. Die Bedeutung der Mikroglia bei akuter Schädigung des Gehirns, wie etwa beim Schlaganfall und Trauma, als auch bei chronischen Gehirnschädigungen ist Gegenstand intensiver Forschung.

Bislang herrschte jedoch die Meinung vor, dass die durch Schädigung aktivierten Mikrogliazellen im Gehirn das Abtöten und Beseitigen von Nervenzellen verursachen. Deshalb wurde auch schon im Experiment versucht, die Mikroglia mithilfe von Wirkstoffen auszuschalten, um damit den Untergang von Nervenzellen zum Beispiel nach experimentellem Schlaganfall zu verringern.

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Mikroglia eliminieren einwandernde Zellen

Mittlerweile gibt es aber zunehmend Hinweise, dass die Mikroglia neben ihrem zerstörerischen Charakter auch eine schützende Wirkung für das Gehirn haben kann. Kürzlich gelang es einem Forscherteam vom Leibniz-Institut für Neurobiologie und vom Institut für Immunologie der Magdeburger Universität um Professor Klaus Reymann und Professor Matthias Gunzer an einem in vitro Schlaganfallmodell zu zeigen, dass Mikrogliazellen die Fähigkeit besitzen, die unmittelbar nach einem Schlaganfall ins Nervengewebe einwandernden neutrophilen Granulozyten, also Zellen des Immunsystems im Blut, zu eliminieren. Dieser Mechanismus trägt wahrscheinlich dazu bei, nach einem Schlaganfall den Schaden an den Nervenzellen zu begrenzen.

Wie der Medizinstudent Jens Neumann in der aktuellen Ausgabe des US-amerikanischen „Journal of Neuroscience“ berichtet, sind Mikrogliazellen in der Lage, im neuronalen Gewebe äußerst effizient die neutrophilen Granulozyten zu beseitigen. Dabei handelt es sich um jene Zellpopulation, die als erste in das geschädigte Gehirnareal einwandert. Die neutrophilen Granulozyten gelten in diesem Kontext als tödlich für Nervenzellen. Das Aufeinandertreffen von Mikrogliazellen, die per se im Gehirn vorzufinden sind, und infiltrierenden neutrophilen Granulozyten war bisher nur sehr vage beleuchtet worden.

Makrophagen machen Jagd auf Granulozyten

In Experimenten, in denen Hirngewebe im Reagenzglas mit neutrophilen Granulozyten in Kontakt gebracht wurde, konnten Neumann und Kollegen zeigen, dass diese das ganze Hirngewebe sehr schnell durchdringen. Die Mikrogliazellen nehmen nun, sobald ein neutrophiler Granulozyt in Reichweite ist, die Jagd auf. In den meisten Fällen wird der Granulozyt einverleibt und schnell abgebaut. Durch die Anwendung der modernen 2-Photonten-Mikroskopie und Videomikroskopie konnte dieses Phänomen erstmalig visualisiert und zudem Live verfolgt werden.

Programmierter Zelltod

Zwar ist bekannt, dass Makrophagen auch in anderen Geweben Granulozyten beseitigen können, allerdings sind diese dann bereits dem Tod geweiht und unterlaufen einen programmierten Zelltod. Die Mikrogliazellen im Gehirn hingegen können nach Angaben der Forscher interessanterweise nicht nur sterbende sondern auch lebende Granulozyten entfernen. Dass Immunzellen andere lebende körpereigene Immunzellen beseitigen können, war bisher völlig unbekannt. Nimmt man den Mikrogliazellen diese Fähigkeit, indem man die molekularen Erkennungsstrukturen auf ihrer Oberfläche hemmt, dann erhöht sich der neuronale Schaden nach einem experimentellen Schlaganfall.

Für die Pharmaforschung bedeutet dieser Befund, zukünftig anti-entzündliche Medikamente unter Berücksichtigung der besonderen Rolle der Mikroglia zu entwickeln.

(idw – Leibniz-Institut für Neurobiologie, 09.06.2008 – DLO)

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