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Ökologie

Biodiversitätsgipfel: Durchbruch oder Stillstand?

Politiker betonen den Erfolg, Umweltverbände mit zwiespältiger Bilanz

Mit einem ganzen Bündel von Beschlüssen ist am Freitag die neunte Vertragsstaatenkonferenz zum internationalen Naturschutz zu Ende gegangen. In den Vereinbarungen geht es um den Kampf gegen Biopiraterie, den Schutz von Meeresgebieten und die Finanzierung von Maßnahmen zum Naturschutz und Biokraftstoffe. Während viele Politiker die Ergebnisse als großen Erfolg ansehen, fällt die Bilanz der Umweltverbände deutlich zwiespältiger aus. Zwei Wochen lang hatten in Bonn rund 6.000 Delegierte aus 191 Staaten darüber beraten, wie das Artensterben gestoppt werden kann.

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„Wir haben in Bonn soviel erreicht, wie wir erreichen wollten und erreichen konnten. Wir haben uns bei den strittigsten Kernfragen geeinigt und den lähmenden Stillstand der letzten Jahre überwunden. Der weltweite Aufbruch zum konkreten Schutz der biologischen Vielfalt ist gelungen“, so das Resümee von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel zum Abschluss des Biodiversitäts-Gipfels. „In Bonn hat sich die Weltgemeinschaft auf den Weg gemacht, den anhaltenden Raubbau an der Natur zu stoppen.“ Und auch der Exekutivsekretär der UN-Konvention über biologische Vielfalt, Ahmed Djoghlaf, lobte: „Bonn hat Geschichte gemacht, dies war die wichtigste aller Vertragsstaatenkonferenzen.“

Langsam wie eine Schnecke

„Das zentrale Ziel der UN-Konferenz, das Artensterben bis 2010 zu stoppen, wird mit den Bonner Beschlüssen nicht erreicht“, sagte dagegen der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger: „Es wurde aber einiges auf den Weg gebracht, was die Bundesregierung bis zur nächsten UN-Naturschutzkonferenz 2010 in Japan in Beschlüsse umsetzen muss. Wenn sich die Staaten in Japan nicht einigen können, wird der Kampf um den Erhalt der Biodiversität verloren gehen.“

Enttäuschend sei vor allem die Zurückhaltung bei finanziellen Beiträgen zum Schutz der biologischen Vielfalt. Leider seien die meisten Industriestaaten den entsprechenden Initiativen Norwegens und Deutschlands nicht gefolgt.

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Nach Ansicht von Greenpeace hat die Veranstaltung die Lähmung der internationalen Staatengemeinschaft beim Arten- und Naturschutz deutlich gemacht. „Der UN-Biodiversitätsgipfel kriecht wie eine Schnecke, während der Verlust an Arten und Lebensräumen rasend schnell voranschreitet. Wenn dies so weiter geht, kann das UN-Ziel, bis 2010 eine Trendwende zu schaffen, nie und nimmer erreicht werden“, sagt Martin Kaiser, Leiter der Greenpeace-Delegation. „Die knallharten wirtschaftlichen Interessen von Ländern wie Brasilien, Kanada, Japan und China haben einen Erfolg des Bonner Gipfels systematisch verhindert.“

„Trotz einiger Fortschritte – der große Durchbruch ist leider ausgeblieben“, sagte auch der WWF-Naturschutzexperte Jörg Roos in einer Bilanz. „Jetzt ist es an der Zeit für den von den Vereinten Nationen vorgeschlagenen Gipfel der Staats- und Regierungschefs. Damit würde der Bedeutung des Naturschutzes für die Weltwirtschaft und die Armutskämpfung Rechnung getragen.“

Erfolge in vielen Bereichen?

Als „Durchbruch“ bezeichnete Gabriel die Einigung gegen Biopiraterie und zur Schaffung eines Reglements über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die gerechte Aufteilung des Nutzens (ABS). „Wir haben es nach nunmehr 16 Jahren endlich geschafft, uns auf einen gemeinsamen Weg zu verständigen, der zu einer international verbindlichen Vereinbarung zur gerechten Aufteilung der Vorteile aus der Nutzung der biologischen Vielfalt führt“, sagte Gabriel.

Das „Bonner Mandat“ sieht einen straffen Fahrplan für die nächsten zwei Jahre vor, um bei der 10. Vertragsstaatenkonferenz in Japan ein so genanntes „Internationales ABS-Regime“ beschließen zu können. „Ich werde mich als Präsident des Übereinkommens in den nächsten zwei Jahren mit allem Nachdruck dafür einsetzen, dass das Bonner Mandat für die Schaffung des ABS-Regimes bis 2010 erfolgreich umgesetzt wird“, so Gabriel. „Biopiraterie muss nach 2010 international rechtssicher ausgeschlossen sein!“

Die Beschlüsse im Einzelnen

Auch in anderen Bereichen wurden in Bonn laut dem BMU wichtige Entscheidungen getroffen:

Illegaler Holzeinschlag

Sehr viel klarer als bisher werden weitere Maßnahmen gegen den illegalen Holzeinschlag und den Handel mit illegal eingeschlagenem Holz auf nationaler und internationaler Ebene eingefordert.

Meeresschutzgebiete

Es ist nach Angaben der Bundesregierung ein Riesenfortschritt, dass in Bonn wissenschaftliche Kriterien für die Auswahl von Meeresschutzgebieten verabschiedet wurden. Obwohl ein globales Netz von Meeresschutzgebieten eine Schlüsselrolle beim Schutz der Ozeane einnimmt, steht bis heute nicht einmal ein Prozent der Fläche unter Schutz, auf der hohen See steht bis heute weltweit kein einziges Gebiet unter Schutz.

Gabriel: „Ich hoffe, dass der Prozess der Schutzgebietsausweisung auf der hohen See durch die Verabschiedung von verbindlichen Auswahlkriterien neue Dynamik erhält. Schließlich haben wir uns verpflichtet, bis zum Jahr 2012 ein weltumspannendes Netzwerk von Meeresschutzgebieten einzurichten.“

Biokraftstoffe

Die Delegierten einigten sich auf eine hinsichtlich der biologischen Vielfalt nachhaltige Erzeugung und Nutzung von Biokraftstoffen und bekräftigten, dass die CBD bei diesem Thema künftig eine wichtige Rolle spielen soll.

Gentechnisch veränderte Bäume

Für den Einsatz gentechnisch veränderter Bäume wird das faktische Moratorium fortgesetzt.

Klimaschutz und Biodiversität

Die Zusammenarbeit zwischen der Biodiversitäts-Konvention und der Klimarahmenkonvention soll verbessert werden. Entsprechende Empfehlungen wurden verabschiedet.

Künstliche Düngung von Meeresgebieten

Die Konferenz bezog klar Stellung gegen Aktivitäten zur künstlichen Düngung von Meeresgebieten mit dem Ziel der CO2-Bindung. Der Grund: Wissenschaftler befürchten starke negative Auswirkungen auf die Meeresumwelt. Zudem ist bislang völlig unklar, ob solche Aktivitäten tatsächlich die unterstellten positiven Auswirkungen auf das Klima haben.

Am Rande der offiziellen Verhandlungen präsentierte die deutsche Delegation zwei Initiativen, die auf sehr breite Zustimmung unter den Vertragsstaaten stießen: die LifeWeb-Initiative und die „Business and Biodiversity“-Initiative. Die LifeWeb Initiative wurde positiv aufgenommen, weil dadurch auf schnellem Wege und ohne formale Hürden die Finanzierung von neuen oder bereits bestehenden Schutzgebieten ermöglicht wird. Mit Life Web werden zusätzliche Mittel unter anderem für die Finanzierung bestehender und neuer Waldschutzgebiete bereitgestellt.

Deutschland selbst wird seine derzeitigen Mittel für den internationalen Naturschutz ausgehend von 210 Millionen Euro in diesem Jahr zunächst um zusammen 500 Millionen Euro zwischen 2009 und 2012 und anschließend dauerhaft 500 Millionen Euro jährlich erhöhen.

Fortschritte nur beim Meeresschutz und beim Kampf gegen Biopiraterie?

Für Greenpeace ist das Erreichte längst nicht genug. Lediglich beim Meeresschutz und bei Maßnahmen gegen die Biopiraterie seien erste wichtige Schritte beschlossen worden, so die Umwelt- und Naturschutzorganisation. Das Hauptproblem, die dramatische Unterfinanzierung des weltweiten Schutzes der Artenvielfalt, wurde jedoch nicht beseitigt.

Greenpeace kritisierte zudem, dass sich die Staatengemeinschaft zwar auf ein Verhandlungsmandat gegen Biopiraterie bis 2010 einigen konnte, Kanada und Japan jedoch immer noch offen ließen, ob sie 2010 einem rechtlich verbindlichen Abkommen wie geplant zustimmen.

Positiv sei, dass nun endlich Kriterien beschlossen wurden, nach denen Schutzgebiete auf hoher See einrichten werden können. Bislang stehen nur 0,7 Prozent der weltweiten Meere unter Schutz.

Greenpeace fordert Merkel zu weiterem Engagement auf

Beim Thema Naturzerstörung durch so genannte Biotreibstoffe wurde nach Ansicht von Greenpeace kein Fortschritt erzielt. Besonders Brasilien weigert sich laut Greenpeace weiterhin, verbindliche Regeln für Agrotreibstoffe zu akzeptieren, mit denen die Urwaldvernichtung für Biomasse-Plantagen verhindert werden soll. Künftig soll es nun weitere Verhandlungen über die Entwicklung von Standards geben.

„Deutschland hat mit seiner Milliardeninitiative zum Urwaldschutz ein wichtiges Signal an die Staatengemeinschaft gegeben. Jetzt muss die Bundeskanzlerin auf dem G8-Gipfel im Juli andere Staaten dabei mitnehmen. Mit Ende der CBD-Konferenz darf für Angela Merkel und Bundesumweltminister Sigmar Gabriel nicht auch ihr Engagement enden“, forderte Martin Kaiser.

(Bundesregierung Online/BMU/WWF/BUND/Greenpeace, 02.06.2008 – DLO)

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