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Neurobiologie

Wie Nervenfasern zu Spezialisten werden

Trennung von Nervenfasern wichtig für Muskelsteuerung

Göttinger Forscher haben neue Erkenntnisse über die Spezialisierung von Nervenfasern gewonnen, die Bewegungsabläufe koordinieren. Sie berichten über ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Science“.

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Gehen, Schwimmen oder Klavierspielen – jede Art von Bewegungsablauf ist nur möglich, wenn die Muskeln die richtigen Impulse – motorische Befehle – bekommen. Hoch spezialisierte Nervenbahnen steuern die Bewegung, indem sie die Muskulatur direkt mit dem Nervensystem verbinden. Damit eine Bewegung wie Laufen koordiniert gesteuert ablaufen kann, müssen motorische Befehle und sensorische Eindrücke innerhalb der Nervenbahnen streng getrennt erfolgen.

Sensorische und motorische Nervenfasern

So genannte „Motorfasern“ leiten dabei die Nervenimpulse an die Muskulatur. „Sensorische“ Fasern dagegen sind dafür zuständig, Sinnesinformationen wie Schmerz oder Temperatur von Muskulatur, Bindegewebe und Haut zum zentralen Nervensystem zu transportieren. Wie wichtig dieses ausgeklügeltes Zusammenspiel ist, zeigt sich, wenn eine Verletzung die Nervenbahnen vermischt. Die Folgen sind chronische Schmerzen und auch die Fähigkeit sich zu bewegen ist schwer eingeschränkt.

Motorische und sensorische Fasern wachsen während der Embryonalentwicklung aber zunächst gemeinsam aus. Wie kommt es dann zur Trennung der verschiedenen Nervenfasertypen und der so wichtigen Spezialisierung?

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Nervenwachstum in der Kulturschale untersucht

Das Forscherteam um Dr. Till Marquardt von der Universität Göttingen hat jetzt zusammen mit Kollegen um Professor Sam Pfaff und Professor Greg Lemke vom Salk Institute, San Diego (USA), eine Antwort auf diese Frage gefunden.

„Wir haben zunächst das Wachstum von Nerven in der Kulturschale untersucht“, sagt Marquardt. Er ist der Leiter der Forschungsgruppe Entwicklungsneurobiologie am European Neuroscience Institute (ENI-G) Göttingen. Ein neu entwickeltes Verfahren ermöglichte es den Forschern, motorische und sensorische Fasern voneinander zu unterscheiden und ihr Wachstum unter dem Mikroskop zu verfolgen. Dabei konnten die Forscher beobachten, wie sich die isolierten Nervenfasern spontan in streng getrennte Nervenbahnen verschiedener Typen aufteilten. Dieses Verhalten hatten sie vorher genau so in Versuchstieren beobachtet.

Abstoßung sorgt für Trennung

„Die Trennung in sensorische und in motorische Fasertypen beruht auf einer gegenseitigen Abstoßung“, sagt Marquardt. Vermittelt wird die gegenseitige Abstoßung durch das Zusammenspiel zweier Eiweißmoleküle, die jeweils auf der Oberfläche der motorischen und sensorischen Fasern liegen.

Das Eiweißmolekül auf den sensorischen Fasern (ephrin-A) funktioniert dabei als Abstoßungs-Signal. Es wirkt wiederum direkt auf spezifische Eiweißmoleküle (EphA-Rezeptoren) auf den motorischen Fasern.

„Kurzschluss“ im Nervenschaltkreis

Der Gegentest brachte den Forschern weitere Erkenntnisse: Das gezielte Entfernen der EphA-Rezeptoren führte zu einem „Kurzschluss“ im Nervenschaltkreis: Motorfasern wuchsen nicht wie normalerweise zur Muskulatur. Stattdessen wuchsen sie in die sensorischen Bahnen und sendeten ihre Nervenimpulse somit an die falsche Stelle. „Die aktive gegenseitige Abstoßung von motorischen und sensorischen Nervenfasern während ihres Wachstums zur Muskulatur ist also von essenzieller Bedeutung für den Aufbau der Nervenschaltkreise, die Bewegungsabläufe steuern“, sagt Marquardt.

Die neuen Kenntnisse aus der Grundlagenforschung über die Signalmechanismen zwischen motorischen und sensorischen Nervenfasern könnten für die Entwicklung von Therapien bei Verletzungen von Nervenbahnen von Bedeutung sein.

ENI Arbeitsgruppe Entwicklungsneurobiologie

Koordinierte Bewegungen erfordern die präzise Verschaltung von Motoneuronen und sensorischen Neuronen mit der Skelettmuskulatur. Ziel der Forschungsgruppe ist es, zu verstehen, wie die Verbindungen zwischen motorischen und sensorischen Neuronen im Verlauf der Embryonalentwicklung ausgebildet und schließlich zu funktionsfähigen Schaltkreisen verknüpft werden. Die Arbeiten der Forschergruppe werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Emmy Noether Programms gefördert.

(idw – Universitätsmedizin Göttingen, 14.04.2008 – DLO)

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