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Naturkatastrophen im Visier

Neue Impulse in der Katastrophenforschung durch CEDIM

Vergleich langfristiger Schäden durch Naturgefahren in Sachsen: Die Säulen zeigen den Schaden an Wohngebäude pro Einwohner der jeweiligen Gemeinde an. Die Farbmarkierung der Gemeinden zeigt die Größenordnung des Gesamtschadens für die Gemeinde an: Erdbeben (rot), Hochwasser (blau), Sturm (grün). Im Südwesten dominieren die Erdbebenschäden; Elbe- und Muldehochwässer sind für Schäden in Milliardenhöhe verantwortlich, aber in einigen Gemeinden können auch Stürme schadensträchtig sein. © CEDIM

Schon lange ermitteln Versicherungen in repräsentativen Umfragen die wichtigsten Ängste der Deutschen. Ergebnis: Naturkatastrophen belegen dabei seit fünf Jahren immer einen der ersten fünf Ränge. 2007 kamen sie sogar auf den zweiten Platz – noch vor der Angst vor Terrorismus oder einer schlechteren Wirtschaftslage.

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Diese Furcht beruht vor allem auf Hochwasserereignissen und Winterstürmen, die in der Öffentlichkeit erhebliche Aufmerksamkeit finden und zudem oft schwerwiegende Folgen haben. Der Sturm „Emma“ am 1. März 2008 beispielsweise erreichte zwar nicht die Stärke von „Kyrill“ (18. Januar 2007), kostete aber zehn Menschenleben und sorgte für Sachschäden in Milliardenhöhe.

„Weit weniger bekannt ist allerdings, dass – auf längere Sicht gesehen – Erdbeben auch in Deutschland durchschnittliche jährliche Schäden der gleichen Größenordnung generieren können wie die viel bekannteren und häufiger auftretenden Formen Hochwasser und Sturm“, sagt der Sprecher des Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology (CEDIM), Professor Friedemann Wenzel vom Geophysikalischen Institut der Universität Karlsruhe. „Zum Beispiel ist Köln im langjährigen Mittel genauso durch Erdbeben wie durch Hochwasser gefährdet.“ Das liegt daran, dass Erdbeben zwar deutlich seltener als Hochwasser auftreten, dann aber erheblich höhere Schäden nach sich ziehen.

Schäden der Zukunft im Visier

Wahrscheinliche Schäden der Zukunft flächendeckend für die Bundesrepublik quantitativ zu erfassen, ist aber erst in den letzten Jahren gelungen. „Diese Zahlen sind ein wesentliches Ergebnis von fünf Jahren CEDIM-Arbeit“, so Wenzel. Die entwickelten Methoden dienen aber auch dazu, bereits geschehene Naturereignisse in neuem Licht zu betrachten. Die Forscher können unter anderem die Schäden abschätzen, die entstanden wären, wenn Naturkatastrophen ein wenig anders verlaufen wären.

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So wiesen die CEDIM-Wissenschaftler beispielsweise bereits nach, dass eine nur geringfügig (zehn Prozent) höhere Windgeschwindigkeit beim Sturm „Lothar“ am zweiten Weihnachtsfeiertag 1999 zu einer Verdreifachung der Schäden an Wohngebäuden in Baden-Württemberg geführt hätte.

Für den Freistaat Sachsen dagegen liegt mittlerweile eine vergleichende Bewertung von zu erwartenden Schäden an Wohngebäuden durch Hochwasser, Stürme und Erdbeben vor – mit überraschendem Ergebnis. Denn sie zeigt, dass das Erdbebenrisiko höher ist als die meisten Verantwortlichen in den Gemeinden vermuten.

Frühwarnung rettet Leben

Ein weiteres wichtiges Thema der Katastrophenforschung innerhalb von CEDIM ist die Frühwarnung. Wichtigstes Ziel dabei ist es, Leben zu retten. „Die meisten Menschen kennen die modernen Möglichkeiten der Hochwasserzentralen, die – je nach Einzugsgebiet des Gewässers – bis zu 24 Stunden vor Auftreten der Scheitelwelle präzise Voraussagen zu den erwarteten Pegelständen der Flüsse liefern“, nennt Wenzel ein Beispiel.

Viele wissen vielleicht auch, dass deutsche Forscher ein Tsumani Frühwarnsystem für den Indischen Ozean mit Schwerpunkt Indonesien entwickeln. Das GeoForschungsZentrum Potsdam – ein Träger von CEDIM – ist dabei federführend und konnte die Funktionsfähigkeit seines Systems bereits bei zwei Erdbeben unter Beweis stellen.

„Weniger bekannt ist dagegen, dass auch in Erdbebenregionen eine Frühwarnung möglich ist – wenngleich nur mit kurzen Vorwarnzeiten von maximal einer Minute“, betont Wenzel. Im Rahmen eines Sonderforschungsbereichs der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Universität Karlsruhe haben Wissenschaftler beispielsweise ein Erdbebenfrühwarnsystem für die Stadt Bukarest entwickelt und zusammen mit rumänischen Kollegen implementiert.

Ein Frühwarnsystem für Istanbul

Istanbul hat heute rund 9,8 Millionen Einwohner – zehn Mal so viele wie noch vor 50 Jahren. Im Großraum leben und arbeiten sogar 11,6 Millionen Menschen. Istanbul ist damit neben Tokio eine der Megacities, die am schlimmsten durch Erdbeben bedroht sind. © NASA/JSC

Und auch in Istanbul existiert bereits ein derartiger Schutz für Bevölkerung und Industrie, der momentan von CEDIM in Zusammenarbeit mit der Bosporus Universität weiterentwickelt und verbessert wird. Mögliche Einsatzmöglichkeiten für das Erdbebenfrühwarnsystem sind das Anhalten von U-Bahnen, das Arretieren von Fahrstühlen oder die schnelle Alarmierung von Hilfskräften.

Auch in Japan können im Katastrophenfall längst Schnellzüge (Shinkhansen) gestoppt und Bauarbeiter auf Hochbaustellen wenige Sekunden vor dem Auftreten der Bodenerschütterung eines nahen Erdbebens gewarnt werden.

Neue Werkzeuge für das Katastrophen Management

„CEDIM-Forscher entwickeln darüberhinaus Schutzmaßnahmen für die großen urbanen Zentren der Welt, die durch Naturgefahren bedroht werden und durch ihr starkes Wachstum ein zunehmendes Risikopotenzial aufweisen“, nennt Wenzel einen weiteren Schwerpunkt der Arbeit.

Im Rahmen der „Earthquakes and Megacities Initiative“, die mit CEDIM eng zusammenarbeitet, entwerfen die Wissenschaftler Werkzeuge zum Katastrophen Management direkt mit Stadtverwaltungen und lokalen Katastrophenmanagern. Dabei geht es vor allem um das Einbeziehen von Vorsorgemaßnahmen in die Stadt- und Raumplanung, aber natürlich auch um die Implementierung von sicheren Baumaßnahmen in der Stadtentwicklung.

Städte wie Istanbul, Manila, Katmandu sind zurzeit dabei, ihre Stadtplanungen mit Katastrophenvorsorgebetrachtungen zu verknüpfen. Dies ist eine wichtige neue Entwicklung, die zwar schon seit vielen Jahren gefordert wird, aber in der Praxis bisher kaum Niederschlag gefunden hat.

Einsicht ist der Schlüssel…

„Wissenschaft und Forschung können also erhebliche Beiträge leisten, um die Wirkungen von Katastrophen zu erkennen, Schwachstellen zu analysieren, ‚Hotspots‘ zu kennzeichnen und wissenschaftliche Methoden in die Schadensminderung einzuführen“, so Wenzels Fazit. „Wirksam werden diese Bemühungen allerdings nur dann, wenn sich die Gesellschaft über deren Notwendigkeit im Klaren ist“.

Links:

CEDIM

Earthquakes and Megacities Initiative

(Professor Friedemann Wenzel, CEDIM – Geophysikalisches Institut, Universität Karlsruhe, 04.04.2008 – DLO)

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