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Perlflussdelta: Vom Dreistromland zur megaurbanen Region

Wanderungsbewegungen und Stadtentwicklung im Süden Chinas

Perlflussdelta als megaurbane Region © Sabine Beißwenger

Aufsteigende „world factory“, Wohlstand, Wolkenkratzer: Das südchinesische Perlflussdelta hat sich in den letzten 30 Jahren von einem regionalen Experimentierfeld für Reformen zu einem Schlüsselstandort in der globalisierten Weltwirtschaft entwickelt. Die Folge: Eine extreme Bevölkerungszunahme und große bauliche Veränderungen in den Städten.

Das Perlflussdelta liegt in der Provinz Guangdong. Es handelt sich dabei um einen Großraum, in dem mehrere Metropolen so dicht beieinander liegen, dass sie ohne merkliche Grenzen ineinander übergehen. Forscher sprechen deshalb von einer megaurbanen Region.

Das Perlflussdelta erstreckt sich entlang zweier Entwicklungsachsen. Diese verlaufen von Guangzhou (Kanton) bis zu den beiden ehemaligen Kolonien Macao und Hongkong. Die Bedeutung von Guangzhou als Zentrum für Handel und Gewerbe hat sich seit 1980 durch Ausweisung von Sonderwirtschaftszonen in den Süden Richtung Hongkong zu den Boomstädten Dongguan und Shenzhen verlagert.

Mingong Chao – Wellen von Arbeitern vom Land

Mit der wirtschaftlichen Öffnung Chinas seit den späten 1970er Jahren setzte eine massive Binnenwanderung ein. „Die Menschen waren früher durch ein Registrierungssystem an den Heimatort gebunden. Erst vor rund 20 Jahren wurde es dann zunehmend möglich, den Wohn- und Arbeitsort eigenständig zu wechseln“, erläutert die Doktorandin Sabine Beißwenger vom Geographischen Institut der Universität zu Köln. Schätzungen zufolge ist die Zahl der Land-Stadt-Wanderer in China inzwischen auf 200 Millionen angestiegen.

Guangzhou: bauliche Entwicklung im Stadtteil Tianhe. © Sabine Beißwenger

Hauptgrund für diese Entwicklung ist neben der Freisetzung von Arbeitskräften auf dem Land durch verbesserte Produktionsmethoden in der Landwirtschaft vor allem die Hoffnung, an dem ökonomischen Boom teilzuhaben und in die neu entstehende Wohlstandschicht aufzusteigen. Das Perlflussdelta wurde somit zu einem der Hauptanziehungspunkte für Arbeitsmigranten aus ganz China. Schätzungen zufolge stammen heute mehr als 50 Prozent der Bevölkerung des Perlflussdelta – circa 40 bis 60 Millionen Menschen – aus dem ländlichen Raum.

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Das Perlflussdelta als Experimentierfeld

Seit Beginn der wirtschaftlichen Öffnung war das Perlflussdelta ein wichtiges Experimentierfeld für Reformen. So wurden zwei der vier im Jahr 1980 eingeführten Sonderwirtschaftszonen Chinas im Perlflussdelta ausgewiesen – Shenzhen und Zhuhai. „Diese Maßnahme hatte durchschlagenden Erfolg. Vier Jahre später entstanden deshalb weitere Wirtschafts- und Technologieentwicklungszonen in der Region. Als Folge stieg das Perlflussdelta zu einer führenden, hochdynamischen Wirtschaftsregion Chinas auf“, so Tabea Bork, die ebenfalls am Geographischen Institut der Universität zu Köln tätig ist. Wirtschaftlichen Kennwerten zufolge ist die südchinesische Provinz Guangdong im nationalen Vergleich der größte Empfänger ausländischer Direktinvestitionen. Ungefähr ein Drittel der chinesischen Exportprodukte wird hier erzeugt – vor allem im Perlflussdelta.

Konkurrenz und Kooperation

„Die Sonderstellung dieser megaurbanen Region führt dazu, dass die Städte in einem Spannungsfeld zwischen nationalen, regionalen und eigenen Interessen stehen. Im Zuge der wirtschaftlichen Öffnung wurde den Stadtregierungen größerer Gestaltungsspielraum zugestanden. Zentralstaatlich formulierte Entwicklungsziele blieben jedoch bindend“, beschreibt die Kölner Geographin Pamela Kilian die Situation vor Ort. „Es hat ein verstärkter Wettbewerb mit anderen Städten im Perlflussdelta, anderen nationalen Entwicklungsregionen und dem internationalen Markt eingesetzt“. Im Perlflussdelta nehmen außerdem lokale ökonomische Interessensgruppen großen Einfluss auf die Stadtentwicklungspolitik.

Bauboom in Guangzhou © Sabine Beißwenger

Die Städte sehen sich in dieser Situation mit unterschiedlichsten Herausforderungen konfrontiert. Während es „nach innen“ gilt, die Versorgung der rapide wachsenden städtischen Bevölkerung zu gewährleisten, nimmt „nach außen“ die Notwendigkeit einer Profilschärfung zu. Die Städte bemühen sich deshalb beispielsweise darum, Erzeuger höherwertiger Produkte und Dienstleistungen anzusiedeln und besser qualifizierte Arbeitnehmer durch Anreize anzulocken. Darüber hinaus versuchen sich die Städte durch Großveranstaltungen – Messen und Festivals – oder Großprojekte, wie Häfen und Flughäfen, von anderen Metropolen abzuheben.

Mittlerweile hat jedoch bei Politikern und Stadtplanern teilweise ein Umdenken eingesetzt. So sind heute Städteallianzen oder eine übergeordnete Steuerungseinheit für das gesamte Perlflussdelta in der Diskussion. „Es bleibt aber abzuwarten, wie die Entscheidungsträger den Herausforderungen der aktuellen rapiden Verstädterung tatsächlich begegnen werden“, schränkt Beißwenger ein und führt die Industrialisierung als Beispiel an.

Stadtentwicklung im Perlflussdelta

Der starke Zustrom von Land-Stadt-Migranten, die Industrialisierung sowie eine beginnende Suburbanisierung sorgen dafür, dass sich die Städte ins Umland ausdehnen und aufgrund gleichzeitiger Verdichtung der bereits bestehenden Stadtgebiete durch Bau unzähliger Hochhäuser immer weiter in die Höhe wachsen.

Durch den starken Konkurrenzdruck erfolgt die Stadtplanung dabei teilweise ohne ausreichend durchdachte und einheitliche Leitlinien: Die zuständigen Behörden weisen riesige Entwicklungszonen aus und erlauben einen enormen Bauboom. Unerwünschte Nebenprodukte dieser Entwicklung – beispielsweise die Entstehung hochverdichteter und infrastrukturell unterversorgter Migrantenwohngebiete – bleiben dabei oft unberücksichtigt.

Im Gegensatz zum hohen Tempo der Stadtentwicklung werden negative Effekte häufig erst langsam sichtbar, wenn bedeutende Weichen schon gestellt sind – Stadtplanung wie Stadtforschung hinken dem schnellen Wandel der chinesischen Städte notgedrungenermaßen hinterher.

(Sabine Beißwenger, Tabea Bork, Pamela Kilian, Geographisches Institut der Universität zu Köln, 29.02.2008 – DLO)

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