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Medizin

Schulden machen krank

Studie zeigt erstmals Zusammenhang zwischen Ausgabenarmut und mangelhaftem Gesundheitszustand

Menschen mit großen Schulden sind häufiger krank, nehmen aber gleichzeitig das Gesundheitssystem weniger in Anspruch. Dies hat eine neue Studie Mainzer Wissenschaftler gezeigt. Danach leiden von zehn überschuldeten Personen acht zumindest an einer Krankheit, wobei den Betroffenen vor allem psychische Probleme und Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen zu schaffen machen.

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„Die Studie zeigt am Beispiel von Rheinland-Pfalz erstmals quantitativ den Gesundheitszustand von überschuldeten Privatpersonen in Deutschland auf“, sagte gestern Professor Dr. Stephan Letzel vom Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität Mainz und Leiter der Studie „Armut, Schulden und Gesundheit“ (ASG-Studie). „Zusammengefasst müssen wir feststellen: der Gesundheitszustand dieser Personengruppe ist absolut mangelhaft.“

Immer mehr Deutsche sind von Verschuldung und Zahlungsunfähigkeit betroffen. „Während sich die Unternehmensinsolvenzen durch den konjunkturellen Aufschwung rückläufig entwickeln, steigen die Insolvenzen natürlicher Personen in alarmierender Weise an“, sagte Curt Wolfgang Hergenröder, Professor für Bürgerliches Recht, Arbeits-, Handels- und Zivilprozessrecht an der Universität Mainz und Wissenschaftlicher Leiter des Schuldnerfachberatungszentrums in Rheinland-Pfalz.

Dass zwischen Armut und Gesundheit ein Zusammenhang besteht, ist wissenschaftlich eindeutig belegt. Dies trifft nicht nur für Länder der Dritten Welt, sondern auch für westliche Industrienationen wie die Bundesrepublik Deutschland zu. „Nur, wie es sich in der speziellen Risikogruppe der überschuldeten Bürger darstellt, darüber war bislang nichts bekannt“, erklärte Eva Münster, Juniorprofessorin für Sozialmedizin und Public Health an der Uni Mainz und Leiterin der ASG-Studie. Mit dem Report liegen nun erstmals für Deutschland Daten über die tatsächliche sozialmedizinische Situation von überschuldeten Privatpersonen vor.

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Zwei Erkrankungen pro Person

Die Erhebung erfolgte zwischen Juli 2006 und März 2007 in Kooperation mit 53 Schuldnerberatungsstellen in Rheinland-Pfalz durch eine schriftliche Befragung. Insgesamt nahmen 666 Personen im Alter zwischen 18 und 79 Jahren daran teil. Rund 80 Prozent der Probanden gaben an, derzeit an mindestens einer Erkrankung zu leiden, im Durchschnitt wurden zwei Erkrankungen pro Person genannt. Psychische Erkrankungen wie Angstzustände, Depressionen oder Psychosen sowie Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen sind mit jeweils rund 40 Prozent die häufigsten Beeinträchtigungen – unter denen Frauen übrigens jeweils deutlich häufiger leiden als Männer. Auch von Schilddrüsenproblemen scheinen Frauen eher betroffen zu sein, während Männern häufiger Sucht- und Abhängigkeitserkrankungen zu schaffen machen: Jeder fünfte überschuldete Mann antwortete auf die betreffende Frage mit „habe ich derzeit“.

„Im Vergleich zur nicht überschuldeten Bevölkerung stellen wir bei Überschuldung ein zwei- bis dreifach größeres Risiko fest, an bestimmten Krankheiten erkrankt zu sein. Das ist eklatant“, so Münster. „Eine zusätzliche Belastung ist, dass sich bei etwa der Hälfte der Überschuldeten Freunde oder Familie aufgrund der finanziellen Notlage zurückziehen. Das macht dann alles noch schlimmer.“

Zu dem defizitären Gesundheitszustand der überschuldeten Privatpersonen kommt als nächstes das Problem der geringeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen hinzu. 65 Prozent der Befragten haben, nach eigenen Angaben, aus Geldmangel die vom Arzt verschriebenen Medikamente nicht gekauft. 60 Prozent haben Arztbesuche unterlassen, weil sie die nötigen finanziellen Mittel für die Zuzahlungen nicht aufbringen konnten. Und auch in anderer Hinsicht kann die untersuchte Personengruppe den Forderungen nach einem gesunden Lebensstil nicht nachkommen: Ungefähr jeder zweite gibt an, sich infolge der Überschuldungsproblematik weniger gesund zu ernähren, und ist zudem weniger sportlich aktiv.

Überschuldung mehr als nur ein ökonomisches oder juristisches Problem

„Die ASG-Studie legt den eindeutigen Schluss nahe, dass es sich bei der Überschuldungsproblematik nicht ausschließlich um ein ökonomisches oder juristisches Problem der Betroffenen handelt, sondern dass gerade gesundheitliche und soziale Probleme dominieren und eine Einschränkung insbesondere bei der gesundheitlichen Versorgung vorliegt“, so das Fazit der Wissenschaftler. Sie raten dringend dazu, fächerübergreifende Präventionsprogramme einzurichten, in die die Sozialdienste der Schuldnerberatungsstellen, der Arbeitslosenberatungsstellen und des medizinischen Bereichs einbezogen werden.

„Die Schuldnerberater könnten darauf geschult werden, die Anzeichen für psychische und physische Probleme zu erkennen und dann an medizinische oder psychologische Beratungsstellen verweisen, die ein entsprechendes Therapieangebot kostenlos bereitstellen“, führte Münster beispielhaft an. Aber auch die Zuzahlungen bei Arztbesuchen oder beim Arzneimittelkauf müssten ohne bürokratischen Aufwand für die Betroffenen entfallen.

Neben dem öffentlichen Gesundheitsdienst, hier müssen Bundes- und Landesministerien unbedingt aktiv werden, sollte den Krankenkassen eine leitende Funktion in der medizinischen Versorgung von überschuldeten Privatpersonen zugesprochen werden, so die Forscher.

(idw – Universität Mainz, 28.02.2008 – DLO)

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