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Technik

Forscher rühren kosmische Ursuppe an

ALICE untersucht Materie nach dem Urknall

Es wird gewaltig knallen, wenn Wissenschaftler beim Experiment „ALICE“, das in wenigen Monaten im Kernforschungszentrum Cern bei Genf starten soll, Bleiatomkerne nahezu mit Lichtgeschwindigkeit aufeinander schießen. Ziel des Experiments ist es, den Zustand der Materie unmittelbar nach dem Urknall zu untersuchen.

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ALICE (A Large Ion Collider Experiment) wird am stärksten Schwerionenbeschleuniger der Welt aufgebaut: am „Large Hadron Collider“ (LHC), der im Sommer 2008 in Betrieb genommen werden soll. In einem unterirdischen, 27 Kilometer langen ringförmigen Tunnel werden Atomkerne aufeinander geschossen. Die Teilchen bewegen sich dabei entgegengesetzt in zwei luftleeren Röhren. Diese sind von mehr als 1.200 jeweils 15 Meter langen Elektromagneten umgeben, die durch flüssiges Helium im größten Kühlsystem der Welt auf minus 271 Grad Celsius gekühlt werden. Hier wird ein extrem starkes Magnetfeld erzeugt, das die Teilchen punktgenau auf Kollisionskurs lenkt.

Urplasma gibt Geheimnisse preis

Auf dem Kreiskurs stehen insgesamt vier gigantische Detektoren an den Kollisionspunkten, die für verschiedene Experimente genutzt werden. Einer davon ist der 16 Meter hohe und 26 Meter lange Detektor ALICE. An dem gleichnamigen Experiment sind rund 1.000 Wissenschaftler aus 80 Instituten in 30 Ländern beteiligt. Sie wollen durch den Zusammenprall von Bleiatomkernen den Zustand der Materie wieder herstellen, wie er etwa eine millionstel Sekunde nach der Entstehung des Universums existiert hat.

„Während der Ausdehnung und Abkühlung des Universums bildeten sich Protonen und Neutronen, die Bausteine unserer Materie, aus Quarks und Gluonen“, erklärt Professor Johannes Wessels vom Institut für Kernphysik der Universität Münster, der mit seinem Team an dem Experiment beteiligt ist. Die Forscher stellen das Urplasma wieder her, um seine Eigenschaften zu untersuchen.

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„Wenn Bleiatomkerne mit 99,99 Prozent der Lichtgeschwindigkeit aufeinander prallen, werden die Protonen und Neutronen so stark verdichtet, dass sich ihre Quarks und Gluonen wie in der kosmischen Ursuppe wieder frei bewegen können“, beschreibt Wessels. Die Energie, die dabei in der Kollisionszone frei wird, ist so groß, dass dabei sogar neue Teilchen entstehen. Mit speziellen Detektoren werden Eigenschaften dieser Teilchen wie Ladung, Masse und Impuls gemessen. Aus diesen Daten können die Forscher die Art der Teilchen bestimmen und ihren Zustand im Augenblick nach der Kollision rekonstruieren.

Sonden beobachten Schwerionen-Kollision

Die münsterschen Forscher arbeiten am Bau des so genannten Übergangsstrahlungsdetektors für ALICE mit, der den Nachweis von Elektronen und Positronen ermöglicht. „Diese Teilchen sind die einzigen, die von den starken Wechselwirkungen und Veränderungen nach dem Zusammenprall unbeeinflusst bleiben. Sie bilden daher ein Fenster zu dem Augenblick unmittelbar nach der Kollision“, erklärt Wessels. „Sie sind ideale Sonden, um die heißeste und dichteste Phase einer Schwerionen-Kollision zu beobachten.“

Der Übergangsstrahlungsdetektor besteht aus einer gigantischen Tonne von sieben Metern Durchmesser, die nach dem Zwiebelschalenprinzip mit 540 plattenförmigen Detektormodulen ausgekleidet ist. Insgesamt decken die Module eine Fläche von rund 740 Quadratmetern ab. Die Elemente des Elektronendetektors, die zum Teil auch im Institut für Kernphysik produziert werden, werden von den münsterschen Technikern und Wissenschaftlern gemeinsam mit Studierenden zusammengesetzt. Insbesondere wird hier jeder einzelne der insgesamt 1,2 Millionen Auslesekanäle getestet, bevor die Detektoren auf die Reise nach Genf gehen.

Zwei Millionen Gigabyte Daten jährlich

Wenn der Schwerionenbeschleuniger LHC in Betrieb genommen wird, fallen allein beim ALICE-Experiment jährlich zwei Millionen Gigabyte an Daten an. „Würde man die auf CD speichern und die CDs stapeln, entstünde ein fünf Kilometer hoher Turm“, veranschaulicht Wessels die enorme Dimension. Die Daten werden durch ein besonderes „Grid-System“ in einem internationalen Netzwerk von Rechenzentren gespeichert und an die an dem Experiment beteiligten Arbeitsgruppen verteilt. Auch für die münsterschen Physiker heißt es dann: Daten auswerten – vermutlich weit über die geplante zehnjährige Laufzeit des ALICE-Detektors hinaus.

(idw – Universität Münster, 13.02.2008 – DLO)

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