Der Jupitermond Europa galt bisher als einziger Himmelskörper, auf dem Wasser in flüssiger Form vorkommt. Jetzt muss er sich sein Privileg mit einem „Kollegen“ aus dem Saturnsystem teilen, denn unter der Eiskruste von Enceladus soll ebenfalls flüssiges Wasser existieren. Dies hat das jetzt in „Nature“ veröffentlichte Modell eines internationalen Teams ergeben, das so die Entstehung der schon bekannten Gasfontänen am Südpol des Saturntrabanten erklärt.
Dass auf der Erde vor etwa 3,5 Milliarden Jahren Leben entstand, ist flüssigem Wasser zu verdanken. Nur in einer feuchten Umgebung konnten sich die notwendigen biochemischen Prozesse abspielen. Vergleichbare Vorgänge könnten theoretisch auch auf anderen Himmelskörpern stattfinden – falls dort ähnliche Bedingungen herrschten wie damals auf der Erde.
Wissenschaftler um Sascha Kempf vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg fanden nun gemeinsam mit einem internationalen Team einen Hinweis auf flüssiges Wasser auf dem Saturnmond Enceladus. Damit wäre der Trabant zusammen mit dem Jupitermond Europa der zweite Kandidat, der die richtige Umgebung für die Entstehung von Leben bietet. „Falls Sie nach Leben im Weltall suchen wollen, dann ist jetzt Enceladus Ihr bester Kandidat“, erklärt Kempf.
Das Rätsel der Eisfontänen
Den Anstoß für dieses Ergebnis gaben Daten der NASA-Raumsonde Cassini, die sich am 14. Juli 2005 der kosmischen Eiskugel auf eine Entfernung von 175 Kilometern angenähert hatte. Sie lieferte im März 2006 erstmals Aufnahmen von aktiven Eisvulkanen auf der Südseite des Saturntrabanten. Eine Erklärung für die Ursache dieser Wasserdampffontänen über der Mondoberfläche fehlte bisher. „Wir wussten, dass den Gasfontänen auch Eisbröckchen beigemischt sind“, so Kempf. Die Herkunft dieser Eisstaubpartikel jedoch stellte seitdem ein Rätsel dar.
Eine Möglichkeit schien, dass die Gasfontänen durch Explosion von Wasserdampfeinschlüssen in der Eiskruste entstehen. Diesem Modell zufolge würden sie sich erst im Kontakt des Gases mit der kalten Atmosphäre bilden – ohne den Zwischenschritt über den flüssigen Aggregatszustand. „Aber dieses Modell kann nicht stimmen“, sagt Kempf. „Wenn sich die Eisklumpen erst über der Oberfläche bilden würden, dann hätten sie eine Geschwindigkeit von 500 Metern pro Sekunde, wie der Wasserdampf selbst.“
Mit diesem hohen Tempo aber könnten sie die Anziehungskraft des Monds überwinden und sich im Weltall verteilen – was sie nicht tun, wie optische Aufnahmen von CASSINI verraten. Die Partikel bewegen sich nicht schneller als mit 207 Metern pro Sekunde, jener Geschwindigkeit, die ein Körper nicht überschreiten darf, um im Gravitationsfeld von Enceladus gefangen zu bleiben. Die Eispartikel werden offenbar von etwas gebremst.
Wasserdampf in Reservoiren unter der Oberfläche
Dem neuen Modell zufolge bilden sich die Eisbröckchen unter der Eiskruste und nicht an ihrer Oberfläche. In unterirdischen Reservoirs befindet sich Wasserdampf, der bisweilen durch Risse im Eis entweicht. Dabei expandiert er und kühlt ab, wobei sich durch Kondensation die Eispartikel ausbilden. Diese werden dann mit dem Wasserdampf nach oben mitgerissen. Ihre Geschwindigkeit wird aber verringert, weil sie wie Pingpongbälle immer wieder von den Eiswänden abprallen. Deshalb schaffen sie es letztendlich nicht, der Anziehungskraft des Mondes zu entkommen.
Dieses Modell erklärt zum ersten Mal die Eigenschaften der Gasfontänen vollständig. Aber es leistet noch mehr: „Wir müssen voraussetzen, dass die Temperatur des Wasserdampfs in den Reservoirs nicht zu niedrig ist“, so Kempf. „Andernfalls wäre die Dichte des Gases zu gering, und wir würden an der Oberfläche nicht so viele Eispartikel beobachten, wie wir es tatsächlich tun.“ Dem Modell zufolge muss die Temperatur mindestens 273 Grad Kelvin betragen, das sind 0 Grad Celsius. Und in diesem Bereich kommt Wasser auch in seiner flüssigen Form vor.
Ozean unter dem Eis?
„Noch können wir nicht sagen, ob unter der Eiskruste von Enceladus ein Ozean existiert“, sagt Sascha Kempf. Es könnte sich auch um eine Ansammlung kleinerer Seen handeln. „Aber im März 2008 erfahren wir mehr.“ Dann nämlich wird sich die Raumsonde CASSINI erneut an den Mond annähern – und diesmal sogar bis auf eine Entfernung von nur 50 Kilometern. Die Wissenschaftler können die Vorgänge auf Enceladus dann noch genauer beobachten.
Ob sie Spuren von Leben finden werden, steht freilich in den Sternen. Immerhin erfüllt der Mond eine notwendige Bedingung. Und Enceladus könnte für die Wissenschaftler bald sogar wichtiger werden als Europa. Die vorhergesagten Wasservorkommen befinden sich nämlich nicht wie auf dem Jupitermond in zwei Kilometern Tiefe, sondern nahe an der Oberfläche.
(MPG, 08.02.2008 – NPO)