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Biologie

Nacktmulle kennen keinen Schmerz

Schmerzfühler in der Haut werden nicht aktiviert

Der Afrikanische Nacktmull (Heterocephalus glaber) ist eines der außergewöhnlichsten Säugetiere der Erde. Zu seinen vielen erstaunlichen Besonderheiten gehört, dass er keinen Schmerz empfindet. © Ewan St. J. Smith/ MDC

Er ist nur 15 Zentimeter groß, kaum behaart, lebt in unterirdischen, stickigen Höhlen und er kennt keinen Schmerz: Der Afrikanische Nacktmull (Heterocephalus glaber) ist eines der ungewöhnlichsten Säugetiere der Erde. Ein internationales Forscherteam hat jetzt gezeigt, dass selbst Säure, die im Normalfall starke, schmerzhafte Verätzungen verursacht, Nacktmullen nichts anhaben kann.

„Das ist für Wirbeltiere absolut einzigartig“, sagt Professor Gary R. Lewin vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch, der zusammen mit Professor Thomas J. Park von der University of Illinois in Chicago, USA, die neue Studie durchgeführt hat. Auch das Capsaicin in Chilipfeffer, das normalerweise auf der Haut brennende Schmerzen auslöst, lässt die Tiere kalt. Die extremen Lebensbedingungen könnten die Tiere im Laufe der Evolution unempfindlich gegen Schmerzen gemacht haben, vermuten die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift PLoS Biology.

In früheren Arbeiten hatte Park nachgewiesen, dass Afrikanische Nacktmulle zwei Botenstoffe, die Schmerzsignale an das Gehirn weiterleiten, nicht bilden können: die Substanz P und das Calcitonin Gene related Peptide (CGRP). Doch lässt sich das mangelnde Schmerzverhalten der Tiere nicht allein dadurch erklären.

Schmerzfühler vorhanden…

Zwar sind Nacktmulle, wie alle Wirbeltiere, mit Schmerzfühlern, so genannten Nozizeptoren, ausgestattet. Diese Fühler sind sensorische Nervenzellen, deren Nervenendigungen in der Haut liegen. Sie nehmen potentiell gefährliche Reize auf und leiten sie an das Gehirn weiter, das dem Körper einen Schmerz signalisiert. Schmerzempfinden ist im Prinzip für alle Lebewesen überlebensnotwendig, um zum Beispiel gefährliche Situationen vermeiden zu können. Säure zum Beispiel ist ein sehr gefährlicher Stoff, der normalerweise bei allen Säugetieren und damit auch beim Menschen sowie bei Wirbeltieren wie Amphibien und Fischen sehr schmerzhafte Verätzungen und Entzündungen auslöst.

…aber nicht aktiviert

Beim Afrikanischen Nacktmull ist das jedoch völlig anders. Er ist das einzige Wirbeltier, das Säurereizungen überhaupt nicht wahrnimmt und auch damit verbundene Entzündungen nicht spürt. Den Schmerzforschern in Berlin und Chicago gelang es jetzt, den Grund für dieses ungewöhnliche Verhalten nachzuweisen. Die Schmerzfühler in der Haut der Nacktmullen werden überhaupt nicht aktiviert, wenn sie mit Säure in Kontakt kommen. Auch dann nicht, wenn sie einen pH-Wert von unter 3,5 hat, was der stärksten Säure entspricht, die Chemiker in einem Labor einsetzen.

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Heftige Reaktion der Schmerzfühler auf Chilipfeffer

Im Gegensatz dazu reagieren die Schmerzfühler der Nacktmullen auf das Capsaicin in Pfeffer- oder Chilischoten sehr heftig. Capsaicin löst normalerweise Brennen und Hitzeempfinden im Mund aus, wenn man sehr scharf isst, auf der Haut sind hohe Dosen dieses feurigen Stoffs sehr schmerzhaft. Nicht so jedoch bei den Afrikanischen Nacktmullen. Obwohl Capsaicin auf ihrer Haut die Schmerzfühler aktiviert, reagieren die Tiere paradoxerweise überhaupt nicht darauf. Der scharfe Stoff macht ihnen gar nichts aus.

Wie Lewin und Park jetzt herausgefunden haben, aktivieren bei den Nacktmullen die auf Capsaicin reagierenden Schmerzfühler andere Regionen im Gehirn als bei „normalen“ Säugetieren, die über die gleichen Schmerzsensoren verfügen. Die beiden Neurobiologen vermuten, dass die Information „Schmerz“ bei den Nacktmullen entweder ins Leere läuft oder möglicherweise angenehme Gefühle weckt.

Extreme Lebensbedingungen schuld an Schmerzunempfindlichkeit?

Weshalb der Nacktmull auf Säure überhaupt nicht reagiert, bei Capsaicin aber sehr heftig und dennoch keinen Schmerz spürt, führen die Forscher auf die Anpassung an seine extremen Lebensbedingungen zurück. Nacktmulle leben in engen, dunklen Höhlengängen in den Halbwüsten Zentralostafrikas dicht gedrängt in Kolonien mit bis zu 300 Tieren. Dadurch ist der Sauerstoffgehalt der Luft sehr gering, der Kohlendioxidgehalt hingegen so hoch, dass ein Mensch in dieser Luft kaum überleben könnte.

Nacktmulle haben ihren Staat ähnlich wie Bienen oder Termiten organisiert. Sie trinken nicht und ernähren sich nur von Knollen. Auch ist der Nacktmull das einzig bekannte wechselwarme Säugetier. Das bedeutet, er passt seine Körpertemperatur der Umgebung an. Wird ihm zu kalt, muss er sich in wärmere Ecken seiner Höhle verkriechen, ähnlich wie Eidechsen, die zum Aufwärmen in die Sonne gehen. Darüber hinaus werden Nacktmulle im Vergleich zu Mäusen geradezu steinalt. Während Mäuse eine natürliche Lebenserwartung von etwa zwei Jahren haben, können Nacktmulle 25 Jahre alt werden.

Forschung geht weiter

Die Schmerzforscher weisen darauf hin, dass hoher Kohlendioxidgehalt zu einer Daueraktivierung von Schmerzsensoren führt. Offenbar ist dieser Mechanismus bei den Nacktmullen aber im Laufe der Evolution stillgelegt worden und sicherte so den Stärksten von ihnen das Überleben. Die Unempfindlichkeit gegenüber Entzündungsschmerz könnte nach Ansicht der Forscher ein Nebenprodukt der Anpassung an die extremen Lebensbedingungen sein.

Jetzt wollen Lewin und Park auch die molekularen und zellulären Mechanismen für die Schmerzunempfindlichkeit der Nacktmullen erforschen. Sie hoffen, dadurch auch Einblick in die „normale“ Schmerzwahrnehmung von Säugetieren und damit des Menschen zu gewinnen.

(idw – Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch, 30.01.2008 – DLO)

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