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Gemälde als Wegweiser zur Klimageschichte

Ruskin und Turner im Dienste der Glaziologie

Mer-de-Glace-Gletscher © Florence Nibart-Devouard/ GNU FDL

Anhand historischer Fotos, Gemälde und Texte haben Forscher die Ausdehnungen des Gletschers Mer de Glace in Chamonix, Frankreich, zwischen 1570 und 2003 rekonstruiert. Mit diesem Ansatz lassen sich neue Erkenntnisse zu den klimatischen Veränderungen in der Kleinen Eiszeit gewinnen, zu der noch keine gesicherten wissenschaftlichen Messdaten vorliegen. Die Wissenschafter wollen diese Methode nun auch bei anderen Gletschern in den Alpen und in Skandinavien anwenden.

Die Veränderung der Ausdehnung von Gletschern ist ein aussagekräftiger Klimaindikator. Diese Schwankungen liefern nicht nur wertvolle Orientierungspunkte für die Bestimmung des Klimas in der Vergangenheit, sondern auch für eine Einschätzung der Folgen des bevorstehenden Klimawandels. Eigentliche wissenschaftliche Messdaten sind jedoch erst für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts verfügbar, also für das Ende der Kleinen Eiszeit. In dieser Kälteperiode, die vom Ende des Mittelalters bis zur Ende des 19. Jahrhunderts dauerte, stießen die imposantesten Alpengletscher bis in die großen Alpentäler vor. Um nun die Dimensionen der Gletscher in früheren Abschnitten dieser Epoche in Erfahrung zu bringen, müssen indirekte Methoden zum Einsatz kommen.

Anhand historischer Aufzeichnungen – Skizzen, Bilder, Fotos, topografische Karten, Berichte und Beschreibungen zum Chamonix-Tal – haben nun Wissenschaftler des Geographischen Instituts der Universität Bern das Vorrücken und Zurückweichen des Mer de Glace in Chamonix (F) in den letzten mehr als 430 Jahren genau bestimmt. Zusätzlich haben sie diese Daten mit den Schwankungen des Unteren Grindelwaldgletschers verglichen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Ausdehnung der beiden Gletscher während der Kleinen Eiszeit synchron veränderte – trotz unterschiedlicher geographischer und klimatischer Bedingungen.

Aufschlussreiche Skizzen

Ausdehnung des Mer-de-Glace-Gletschers in den Jahren 1644 (grün), 1821 (rot) und 1895 (orange). Zwischen 1821 und 1895 zog sich der Gletscher um 1,2 Kilometer zurück. © S. Nussbaumer/ SNF

Zur Identifizierung der Schwankungen des Mer de Glace hat das Geografenteam mehr als 150 Aufzeichnungen unter die Lupe genommen. Mit topografischen Elementen wie Weiler, Hügel oder Felsaufschlüsse als Bezugspunkte übertrugen sie dann die Umrisse der Gletscherzunge auf eine Karte. Dieser Einbezug von Geschichtsdokumenten gestaltet sich komplizierter, als es scheinen mag. Nur Aufzeichnungen, die drei Kriterien erfüllen, werden berücksichtigt:

Erstens muss klar sein, wann das Beweisstück genau entstand, und vor allem, wann sich der Künstler oder die Künstlerin dort aufhielt. Bei einem Bild zum Beispiel können zwischen der ersten Skizze vor Ort und dem letzten Pinselstrich in Atelier Monate oder sogar Jahre liegen. Wichtig ist auch, dass es sich um eine wahrheitsgetreue, topografisch korrekte Abbildung oder Beschreibung handelt. Schließlich muss sich der Standort, von dem aus das Dokument anfertigt wurde, lokalisieren lassen, was genaue Kenntnisse des Geländes voraussetzt.

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Zum Teil wurden dabei auch Werke berühmter Künstler wie John Ruskin und William Turner analysiert. Besonders nützliche Hinweise bargen jedoch Zeichnungen und Bilder von Jean-Antoine Linck und Samuel Birmann, Fotografien der Brüder Bisson sowie Karten von James David Forbes und Eugène Viollet-le-Duc. Die mit Anmerkungen und Kommentaren ergänzten Skizzenhefte erwiesen sich als wahre Fundgrube, so die Forscher.

Vorzeigegletscher

Nicht allen Gletschern lassen sich jedoch mit der beschriebenen Methode die Geheimnisse ihrer Vergangenheit entlocken. Denn nur zu den bekanntesten und am leichtesten zugänglichen Eisgiganten sind genügend Aufzeichnungen vorhanden. Die meisten davon befinden sich in den Alpen, einige aber auch in Skandinavien. Das Mer de Glace – das „Eismeer“ – zog bereits im 18. Jahrhundert die Reisenden in seinen Bann. Die Zunge des Gletschers reichte damals noch weit bis ins Chamonix-Tal hinein, und die durch das Vorrücken verursachten Schäden sorgten für Aufsehen bei Gästen und Bevölkerung. Entsprechend umfangreich sind die Unterlagen zum „Eismeer“. Noch heute bestaunen jedes Jahr Tausende von Touristen den Gletscher.

Maximale Ausdehnung 1644

Das Mer de Glace ist der größte Gletscher der westlichen Alpen. Er liegt im Montblanc-Massiv, erstreckt sich zwischen 4.000 und 1.500 Metern Höhe über eine Länge von zwölf Kilometern und bedeckt eine Fläche von 32 Quadratkilometern. Zwischen 1570 und 2003 bewegte er sich mehrmals vor und zurück. Die maximale Ausdehnung erreichte er nach Angaben der Wissenschaftler 1644.

Bei diesem Vormarsch zerstörte der Gletscher die Weiler Châtelard und Bonanay; erst an den Toren des Weilers Bois machte er halt. Andere Höchstwerte wurden 1600, 1720, 1778, 1821 und 1852 registriert. Seither zieht sich das Mer de Glace mehr oder weniger kontinuierlich zurück. Das Eismeer ist heute vom Tal aus nicht mehr zu sehen – innerhalb von 150 Jahren ist es um zwei Kilometer geschrumpft.

Vergleich mit Skandinavien

Nachdem sich der historische Ansatz bewährt hat, will das Berner Forschungsteam seine Arbeiten nun auf weitere Gletscher in den Alpen und Skandinavien ausdehnen. Dabei stehen folgende Fragen im Vordergrund: Bewegten sich die Gletscher in Skandinavien zeitgleich mit den Gletschern der Alpen vor und zurück? Wo ergaben sich Abweichungen? Die Antworten auf diese Fragen werden wertvolle Einblicke in die Kleine Eiszeit und ihre Klimaschwankungen ermöglichen.

(idw – Schweizerischer Nationalfonds SNF, 29.01.2008 – DLO)

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