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Neurobiologie

Seltene Hirnkrankheit beginnt eher als gedacht

Neue Erkenntnisse über das Rett-Syndrom

Autistische Verhaltensstörung, Krampfanfälle, lebensbedrohliche Atemstörung – das sind die Hauptsymptome des Rett-Syndroms. Forscher haben nun zum ersten Mal an einem Mausmodell gezeigt, dass die Störungen im Gehirn bei dieser genetischen Erkrankung wesentlich früher entstehen als bislang vermutet. Zukünftige Diagnoseverfahren und mögliche Therapien müssen daher nach den Ergebnissen der Wissenschaftler schon weit vor dem äußerlichen Ausbruch der Krankheit ansetzen.

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Obwohl relativ selten ist das Rett-Syndrom nach dem Down-Syndrom die häufigste Ursache für geistige Behinderung bei Mädchen. Die ersten klinischen Anzeichen treten nach einer scheinbar normalen Entwicklung der betroffenen Mädchen zwischen dem 6. und 18. Lebensmonat auf. Bisher ist die Krankheit weder heilbar noch gezielt therapierbar.

Jetzt haben Wissenschaftler des Göttinger DFG Forschungszentrums Molekularphysiologie des Gehirns (CMPB) zum ersten Mal in einem Mausmodell des Rett-Syndroms gezeigt, dass die neuronale Signalübertragung schon kurz nach der Geburt ins Ungleichgewicht gerät. „Das bedeutet, dass ein solcher genetischer Defekt die Entwicklung des Gehirns schon in einer sehr frühen Phase in die falsche Richtung leitet. Wenn diese Fehlentwicklung fortgeschritten ist, können wir den Krankheitsverlauf kaum noch beeinflussen“, erklärt der Leiter der Studie, Dr. Weiqi Zhang in der Fachzeitschrft Journal of Neurophysiology.

Genmutation Ursache für Rett-Syndrom

Seit 1999 ist bekannt, dass das Rett-Syndrom durch eine Mutation auf dem Gen MeCP2 ausgelöst wird. Frühere Studien legen nahe, dass diese Mutation die Arbeit von Synapsen – den Schaltstellen zwischen Nervenzellen – im Gehirn stört. Dadurch – so wird vermutet – kommt es bei dem Ausbruch der Krankheit zu einem Ungleichgewicht zwischen hemmender und anregender Reizübertragung zwischen den Synapsen. Unklar war jedoch bislang, wann die zellulären Störungen beginnen und wie sich diese auf den zeitlichen Verlauf der Krankheit auswirken. Zhang und sein Doktorand Lucian Medrihan wollten herausfinden, welche Fehlentwicklung im Gehirn einsetzt und ob diese Störung schon kurz nach der Geburt auftritt.

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Da viele Netzwerke kurz nach der Geburt noch nicht funktionsfähig sind, haben die Forscher ein neuronales Netzwerk im Atemzentrum untersucht, das schon von Geburt an funktionsfähig ist. Die Experimente wurden an den Gehirnen von Mäusen durchgeführt, bei denen das Gen MeCP2 ausgeschaltet wurde. Diese Mäuse – so weiß man aus anderen Studien – entwickeln ca. fünf Wochen nach ihrer Geburt erste Symptome, die dem Rett-Syndrom beim Menschen ähneln – darunter auch Atmungsstörungen.

Mit verschiedenen Methoden haben Zhang und sein Team die Signalübertragung von Synapsen im Atmungszentrum dieser mutierten Mäuse am siebten Tag nach ihrer Geburt getestet. Obwohl die Mäuse zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Unregelmäßigkeiten im Verhalten zeigten, konnten die Forscher um Zhang schon deutliche Unterschiede in der Funktion des Gehirns zu nicht-mutierten Mäusen feststellen. Sie beobachteten, dass vor allem die hemmende Aktivität an den Synapsen stark reduziert ist und damit die gesamte neuronale Signal-Übertragung in diesem Netzwerk langsam aus dem Gleichgewicht gerät.

Schleichender Beginn

„Wir haben damit gezeigt, dass die Funktion der Zellen schon sehr früh gestört ist, auch wenn rein äußerlich noch alles normal zu sein scheint. Die Krankheit beginnt schleichend schon in einem sehr frühen Entwicklungsstadium, sie setzt nicht von heute auf morgen ein“, fasst Zhang die Ergebnisse zusammen. „Zwar haben wir in dieser Studie nur ein neuronales Netzwerk von vielen untersucht. Wir gehen aber davon aus, dass die zellulären Mechanismen auch auf Netzwerke anderer Hirnfunktionen übertragbar sind“, so Zhang weiter. Sein Fazit: „Was wir aus dieser Studie lernen ist, dass zukünftige Diagnoseverfahren und mögliche Therapien schon weit vor dem äußerlichen Ausbruch der Krankheit ansetzen müssen. Nur so haben wir eine Chance, diese Krankheit zu behandeln.“

(idw – DFG Forschungszentrum für Molekularphysiologie des Gehirns,, 21.01.2008 – DLO)

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