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Mathematik

Mathematik: Primitives Zählen besser als gedacht

Warum es von Vorteil sein kann, Äpfel und Birnen nicht zusammenzählen zu können

Rote Äpfel enthalten mehr Antioxidantien als grüne. © USDA

Wenn jemand „nicht bis drei zählen“ kann, setzen wir kein großes Vertrauen in seine sonstigen geistigen Fähigkeiten. Und wenn jemand Orangen auf eine andere Weise zählt als Brotfrüchte kommt einem das gelinde gesagt umständlich und ineffizient vor. Dass solche Zahlsysteme, die bisher als primitiv galten, in Wirklichkeit sehr effizient und vorteilhaft sein können, haben jetzt deutsche Wissenschaftler gezeigt. Sie konnten mit ihrer Studie aber auch gängige Annahmen zur Evolution von Zahlsystemen widerlegen.

Lange Zeit haben Mathematiker angenommen, dass einfache Zahlsysteme mit wenigen Zahlworten und objektspezifische Zahlsysteme, in denen verschiedene Objekte unterschiedlich gezählt werden, einfache Vorstufen eines abstrakten mathematischen Verständnisses seien. Dass diese Annahme nicht grundsätzlich stimmt, zeigen zwei Wissenschaftler vom Institut für Psychologie der Universität Freiburg in einem Artikel im Wissenschaftsmagazin Science.

Vier Sprachen im Vergleich

Der Psychologe Sieghard Beller und die Ethnologin Andrea Beller verglichen dazu vier Sprachen im pazifischen Raum, die alle von der gleichen Muttersprache, dem Proto-Ozeanischen, abstammen. Während die Muttersprache vor über 4.000 Jahren aber bereits ein abstraktes Zahlsystem auf der Basis zehn besaß, mit dem man mindestens bis 1.000 zählen konnte, haben sich die Tochtersprachen auf interessante Weise auseinander entwickelt.

Adzera und Takia beispielsweise, zwei Sprachen in Papua-Neuguinea, haben das umfangreiche System aufgegeben und zählten in vorkolonialer Zeit nur noch bis fünf, während im Fidschianischen und im polynesischen Mangareva das abstrakte System erweitert und zusätzlich durch verschiedene objektspezifische Systeme ergänzt wurde.

Diese Beispiele zeigen deutlich, so die beiden Forscher, dass die Annahme einer Evolution vom Einfachen zum Komplexen und vom Objektspezifischen zum Abstrakten nicht haltbar ist. Menschliche Kognitionen – und Zahlsysteme sind ein wichtiger Bestandteil davon – entwickeln sich vielmehr in Reaktion auf kulturelle Anforderungen. Wo kein Bedarf für das Zählen und große Zahlen besteht, wie dies in vielen Regionen Papua-Neuguineas der Fall war, werden komplexere Zahlsysteme nicht mehr gebraucht. Und wo sie nicht ausreichen, werden sie ausgedehnt und ergänzt, wie in Polynesien geschehen.

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Sinn objektspezifischer Systeme untersucht

Worin aber könnte der Sinn objektspezifischer Systeme liegen? Auch auf diese Frage haben die beiden Forscher eine Antwort: Zu einer Zeit, als es in Polynesien noch keine Zahlschrift gab, erleichterten die objektspezifischen Zählweisen das Kopfrechnen. Sie zählten nämlich nicht einzelne Objekte, sondern Paare oder andere Einheiten.

Nimmt man zur Veranschaulichung das Zählen und Rechnen im Dutzend: 72 minus 24 plus 36 im Kopf auszurechnen, fällt den meisten schwerer als sechs Dutzend minus zwei Dutzend plus drei Dutzend. Gerade solche Abkürzungsstrategien sind es, die objektspezifische Zahlsysteme so effizient machen.

(idw – Universität Freiburg im Breisgau, 21.01.2008 – DLO)

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